Ekel / Leichensache Kollbeck
Schenkeln ab.
Dann erst läßt er von ihr. Er zerrt die Tote unter den nächsten Holunderstrauch und deckt sie mit Laub und Zweigen ab.
Daheim ist er unauffällig und verschlossen wie sonst auch. Am Nachmittag des gleichen Tages treibt ihn sein Gewissen wieder an den Ort seiner Grausamkeit zurück. Doch er scheut sich, sein Motorrad anzuhalten. Mit geringer Geschwindigkeit fährt er einige Male über den Lichtenwalder Weg und wirft einen kritischen Blick auf den kleinen Hügel aus Laub und Zweigen zwischen den Holunderbüschen. Er glaubt, zwischen den Blättern eine kleine, weiße Hand wahrzunehmen, wagt aber keinesfalls, diesen Ort nochmals zu betreten. Seine Anstrengungen, das Geschehene innerlich zu verdrängen, scheitern spätestens an dem Tag, an dem in Frankenberg bekannt wird, daß die Polizei einen Mann mit grüner Schafwollbekleidung sucht. Unbemerkt verbrennt Essenbach zwei Tage nach dem Mord den grünen Pullover im Heizungskeller seiner Arbeitsstelle. Und nach einem weiteren Tag faßt er sich ein Herz und zeigt beim Betriebsschutz den vermeintlichen Diebstahl an.
Essenbachs Blutgruppe ist ebenfalls identisch mit der in der Spermaspur an der Strumpfhose nachgewiesenen. Seine Schilderungen, wie er sich zwischen den Schenkeln des Mädchens befriedigte, sind ein wichtiges Indiz dafür, daß er der eigentliche Produzent der Spur ist und nicht der Jugendliche vom Hauptbahnhof.
Im Zuge der Ermittlungen entdeckt Hauptmann Korges weitere dunkle Flecken auf der bislang weißen Weste des biederen Brigadiers Essenbach. Hinter dem Rücken seiner Angetrauten unterhält er vielfältigen Kontakt zu anderen Frauen, besonders, wenn diese im jugendlichen Alter sind. Ihre Liebesdienste honoriert er großzügig. Auch vor der Unzucht mit Minderjährigen schreckt er nicht zurück. Auf makabre Weise beendet der Mord an Marlies Stenzel seine unheilvollen Leidenschaften.
Korges kann den Fall schnell zum Abschluß bringen. Der Biologe Konrad Schönborn wird einige Wochen später sein schlüssiges Gutachten vor Gericht erstatten, daß die am Opfer und am Tatort gesicherten grünen Schafwollfasern eindeutig Hartmut Essenbach zuzuordnen sind. Damit ist dessen Täterschaft nachgewiesen. Neben dem Geständnis des Täters sind die Faserspuren das einzige objektive Beweismittel in diesem Strafverfahren.
Essenbach erwartet eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Nachtrag: Zehn Jahre später wurde Hauptmann Rudi Korges unehrenhaft aus der Volkspolizei entlassen, weil er sich erlaubte, in sein Wochenendgrundstück Bekannte aus dem Westen Deutschlands einzuladen, die er bei einem Ungarnurlaub kennengelernt hatte. Aufmerksame Nachbarn hatten dieses unverzeihliche Vorkommnis den dafür zuständigen Sicherheitsorganen gemeldet.
Diplombiologe Konrad Schönborn verstarb im Jahre 1995, wenige Tage nach seinem 64. Geburtstag, an den Folgen einer Alkoholkrankheit.
Hartmut Essenbach wurde in der Zeit des Untergangs der DDR im Jahre 1990 amnestiert.
Der Kreuzworträtselmord
(Aktenzeichen 131–110–81 Bezirksstaatsanwalt Halle/Saale)
Ausgangs der fünfziger Jahre gab die SED-Führung die These aus, die Chemisierung der Industrie sei die entscheidende Waffe im ökonomischen Kampf mit dem Kapitalismus. Die dazugehörige Losung lautete: „Chemie ist Wohlstand“, und sie wurde alsbald zu einem starren volkswirtschaftlichen Dogma mit kaum absehbaren, fatalen Folgen für Mensch und Umwelt. Die Großbetriebe Buna, Leuna und Bitterfeld, die bereits für den Zweiten Weltkrieg auf Hochtouren produziert hatten, bildeten das Zentrum der chemischen Großindustrie im Bezirk Halle.
Die Pläne der Partei- und Staatsführung waren ehrgeizig, und so wurde die Produktion rücksichtslos ausgebaut, während die Natur in weitem Umkreis vergiftet wurde und allmählich abstarb. Ein grauer Schleier mit stechend saurem Geruch überzog alles. Die Saale und ihre kleinen Geschwister verkamen zu leblosen Kloaken der Chemiegiganten.
Für die Beschäftigten der Chemiemoloche Leuna und Buna wurde der Bau einer sozialistischen Satellitenstadt wenige Kilometer westlich der Bezirkshauptstadt und jenseits der Saaleaue beschlossen. Den Grundstein legte man 1964, bereits 1967 erhielt das Areal das Stadtrecht, und in weniger als zwanzig Jahren entstand für knapp einhunderttausend Menschen die Plattenbauidylle Halle-Neustadt.
Warme, helle, billige Wohnungen und eine bescheidene Infrastruktur machten das Leben in der betonierten Tristesse der eintönigen Vielgeschosser erträglich.
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