Ekel / Leichensache Kollbeck
des Toten durch eine sogenannte Leichentoilette nicht zu, einem ansonsten üblichen Verfahren, mittels kosmetischer und plastischer Veränderungen die Lebensähnlichkeit des Gesichts wiederherzustellen.
Leutnant Heinold ist verwundert, daß die in den Havelkanal versenkte Leiche des Mannes mit dem beachtlichen Gewicht von 74 kg nach einiger Zeit wieder aufgetaucht sein muß. Doch dafür gibt es keine kriminalistische Regel, zu vielfältig sind die auf eine Wasserleiche einwirkenden Bedingungen. Einerseits kann es vorkommen, daß unbeschwerte Leichen niemals wieder auftauchen, andererseits wurden Fälle bekannt, wonach selbst erhebliche Gewichte nicht in der Lage waren, die fäulnisgeblähten Körper am Auftauchen zu hindern.
Auch nach der Obduktion verfügt Heinold nur über ein geringfügiges Ausgangsmaterial für seine Ermittlungen. Die Ergreifung des unbekannten Täters setzt zunächst die Identifizierung des Toten voraus. Doch die Überprüfung der Vermißtenanzeigen im Bezirk verläuft ergebnislos.
Nun wird es unumgänglich, an die Öffentlichkeit zu treten. Bereits am Freitag, dem 1. Juli 1966, erscheint deshalb in der Potsdamer Bezirkszeitung „Märkische Volksstimme“ eine Pressenotiz über den unbekannten Toten, in der die Bevölkerung zur Mitarbeit aufgerufen wird. Zeitgleich appelliert die „Berliner Zeitung“ an ihre Leser, bei der Identifizierung des unbekannten Toten mitzuhelfen und veröffentlicht ein Foto der verzinkten Waschwanne.
Während die Reaktionen auf die Presseinformation in Potsdam bei Leutnant Heinold zu keinem brauchbaren Hinweis führt, sieht die Lage in Berlin günstiger aus. Bei der Kriminalpolizei der VP-Inspektion Mitte in der Keibelstraße erscheint am Tage der Veröffentlichung ein offensichtlich geistig behinderter junger Mann und stammelt, heftig gestikulierend, undeutliche Sätze. Aber die wenigen, ungeordneten Wortfetzen, die der ihn befragende Kriminalist entschlüsselt, scheinen sich auf die Abbildung der Waschwanne in der „Berliner Zeitung“ zu beziehen. Deshalb wird er ernst genommen und ausführlich exploriert. Im Ergebnis der mühevollen Vernehmung scheint ein erster wichtiger Hinweis zur Herkunft der Wanne vorzuliegen, dessen Überprüfung keinen Aufwand erfordert.
Reduziert man das Kauderwelsch des Mannes auf seinen sachlichen Kern, dann muß er in der Brunnenstraße 154 im Stadtbezirk Mitte wohnen. Hinter dieser Hausnummer verbirgt sich eine Mietskaserne mit einem alten Kintopp im Vorderhaus, Quer- und Seitengebäude und düsterem Hof. Die Hausbewohner verfügen im Dachgeschoß über eine Waschküche, zu deren Inventar auch eine Zinkwanne gehöre, die dort gewöhnlich auf einem T-förmigen Holzbock stehe. Da sie eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Bild in der Zeitung besitze, habe der junge Mann gleich nachgesehen und festgestellt, daß nur noch der Holzbock da sei. Die Wanne ist seit geraumer Zeit verschwunden und niemand könne sagen, wo sie geblieben ist.
Unverzüglich überprüfen Kriminalisten der VP-Inspektion Mitte diesen Hinweis. Dabei stellt sich heraus, daß anhand des Zeitungsbildes auch andere Mieter das hausgemeinschaftliche Utensil aus der Waschküche wiedererkennen. Die Identifizierung der Wanne scheint den Weg zu weiteren wichtigen Spuren zu weisen, denn der Tote oder der Täter müssen irgendwie mit diesem Wohnhaus in Beziehung stehen.
Deshalb werden alle Mieter sorgfältig auf einer Liste erfaßt. Dabei fällt ein merkwürdiger Umstand auf: Die 26jährige Mieterin Sybille Bolke, Verkäuferin in einer Filiale der HO „Fleisch- und Wurstwaren“, hatte am 23.06.1966 auf dem nur einen Steinwurf von ihrem Wohnhaus entfernten VP-Revier 14 eine Vermißtenanzeige erstattet. Danach habe sie ihr Ehemann, der gleichaltrige Lutz Bolke, nach Monate andauernden, in seiner Trunksucht begründeten, ehelichen Auseinandersetzungen verlassen. Seit dem 19. Juni 1966 sei er nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. Sie hege den Verdacht, daß er sein bereits länger geplantes Vorhaben, das sozialistische Vaterland auf illegalem Wege zu verlassen, nunmehr realisiert hat. Eigentlich warte sie nur noch auf eine Nachricht von ihm, wohlbehalten im Westen angekommen zu sein.
Es mag verwundern, daß im Rahmen der Berichte über eine kleine Auswahl gewöhnlicher Morde aus der DDR wiederholt auf Fälle zurückgegriffen wird, in denen versucht wurde, zur Tatverschleierung einen – um es strafrechtlich korrekt zu formulieren – „ungesetzlichen Grenzübertritt“
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