Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ekel / Leichensache Kollbeck

Ekel / Leichensache Kollbeck

Titel: Ekel / Leichensache Kollbeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Girod
Vom Netzwerk:
fand.
    Der Ehemann der Ermordeten, Dr. Görschdorf, verstarb 1979 an den Folgen einer schweren Herzattacke.

Verlorene Mütter
    (Aktenzeichen B I 11/68 Bezirksstaatsanwalt Karl-Marx-Stadt)
    Ulla Söllner war immer schon ein störrisches Mädchen. Ihr Starrsinn brachte Vater und Mutter öfter an die Grenzen ihrer erzieherischen Einflußmöglichkeiten. Die Eltern, regsame, fleißige Landwirte, genießen in ihrem Ort am Rande der sächsischen Kreisstadt Hohenstein-Ernstthal einen guten Ruf. Sie sind darauf bedacht, daß ihre Tochter eine ordentliche Entwicklung nimmt. In nahezu regelmäßigen Zeitabständen wiederholen sich die Themen der Auseinandersetzung mit ihr. Meist geht es um die Unordnung in Ullas Zimmer oder um ihren mangelhaften Beitrag gegenüber den Erfordernissen, die der bäuerliche Haushalt der Eltern mit sich bringt. Die Erfüllung von Pflichten empfindet sie eher als Last. Mit ausgeklügelten Begründungen versucht sie, sich ihnen möglichst zu entziehen. Am liebsten verbringt sie ihre Freizeit mit den Jungen des Dorfes. In deren Gegenwart fühlt sie sich wohl und imponiert durch ein gespieltes emanzipiertes Auftreten. Mit 15 Jahren raucht sie schon täglich fast eine Schachtel Zigaretten, sehr zum Mißfallen ihrer Eltern. Manchmal trinkt sie auch Alkohol und bemerkt nicht, daß die hämische Dorfjugend sie dazu animiert. Schon die ersten sexuellen Regungen lebt sie mit verschiedenen Jungen aus. Sie ist bald kaum mehr in der Lage, ihre Triebe zu beherrschen. So sehr sie sich einen festen Freund wünscht, ihre kurzen Beziehungen brechen bald wieder auseinander. Ihr entgeht, daß sie als begehrtes Pettingobjekt, das man leicht herumkriegen würde, von den Jungen heimlich weitergereicht wird. Damit ist der soziale Mißerfolg frühzeitig vorbestimmt und bildet mit der schleichenden Verwahrlosung ihrer Sexualität eine unheilvolle Allianz.
    Lustlos hangelt sie sich über die Schulzeit. Ihre Leistungen bleiben unter dem Durchschnitt. Es ist ein großes Glück, dessen sie sich nie so recht bewußt wird, nach Abschluß der Schule dennoch eine Lehrstelle als Industriekauffrau in der nahen Großbäckerei in Kuhschnappel zu erhalten.
    Mitten in der Erntezeit des September 1967, Ulla ist nach dem Besuch einer Jugendveranstaltung erst in den frühen Morgenstunden heimgekehrt, gibt es während des Abendessens in der Wohnküche eine erneute Auseinandersetzung mit den Eltern.
    „Noch bist du nicht volljährig, steckst deine Füße unter unseren Tisch. Deshalb hast du nach Hause zu kommen, wann wir es bestimmen!“ schnarrt sie der Vater an.
    Ulla sitzt ohne Appetit bei Tisch, knabbert verlegen an ihren Fingernägeln. Sie faßt sich und kontert schnippig: „Nächstes Jahr bin ich achtzehn. Dann ziehe ich sowieso aus!“
    „Du kannst nicht einfach nur das machen, wozu du Lust hast. Es gibt auch Pflichten. Und Fleiß gehört auch zum Leben, sonst wird nichts aus dir. Nur Jungen und Tanzen im Kopf, das bringt doch nichts!“ knurrt der Vater streng.
    Die Mutter mischt sich zaghaft in das Gespräch: „Der Papa meint es doch nur gut mit dir. Stromere nicht so viel herum und erledige deine Aufgaben. Schließ deine Lehre ordentlich ab. Später kannst du machen, was du für richtig hältst!“
    „Seid ihr jetzt fertig?“ unterbricht Ulla die Belehrung schroff, schiebt den Teller zur Seite und steht auf. Hilflos blicken sich die Eltern an und schweigen. Beim Verlassen der Küche sagt Ulla noch: „Ich gehe in mein Zimmer. Mir ist nicht gut!“
    Wenig später räumt die Mutter den Tisch ab und stellt fest: „Ein schwieriges Mädel. Was haben wir bloß falsch gemacht? Wenn das so weitergeht, läßt sie sich eines Tages noch ein Kind machen. Ich weiß auch nicht mehr weiter!“
    „Wäre sie ein Junge, würde ich ihr kräftig den Arsch versohlen. Das hat mir auch nicht geschadet. Mein Alter war da auch nicht zimperlich“, schließt der Vater das Gespräch ab.
    Ulla hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen und hängt ihren Gedanken nach, während aus dem Radio die „Schlager der Woche“, eine regelmäßige Sendung des RIAS von und mit Lord Knut, dröhnen. Sie macht sich ernsthafte Sorgen, daß ihre Regelblutung bereits den zweiten Monat überfällig ist, ohne zu wissen, welche Gedanken sich die Mutter in dieser Richtung bereits macht.
    Und wenn sie schwanger ist? Heißes Blut schießt ihr in den Kopf. Nein, das darf nicht sein! Ich will kein Kind. Niemals!
    Doch im Verlaufe des Abends verblassen ihre Befürchtungen wieder.

Weitere Kostenlose Bücher