Ekel / Leichensache Kollbeck
als Gehilfe arbeitet, wird befragt. Er war in den Jahren von 1966 bis 1968 in etwa dreißig Fällen wegen sexuell motivierten Diebstahls von Damenunterwäsche und in zehn Fällen wegen Exhibitionismus polizeilich aufgefallen. In dieser Zeit war er auch einmal einer Frau unbemerkt gefolgt, hatte sie an einer einsamen Stelle mit einem Messer bedroht und sie aufgefordert, sich auszuziehen. Doch zu seiner Verblüffung kam die Frau dem Verlangen nicht nach. Vor Schreck ließ er von ihr ab. Glücklicherweise blieb es bei der Drohung. Er kam vor Gericht. Wegen seiner geistigen Retardierung wurde er allerdings strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen. So landete sein Fall wenigstens in den Datenspeichern des kriminalpolizeilichen Straftatenvergleichs.
Bert-Julius trägt zwar keine schwarzen Haare und stimmt auch sonst in keiner Weise mit der Beschreibung des verdächtigen Mannes überein, trotzdem fragen ihn die Kriminalisten, ob er Jeans besitze. Er verneint. Dann geschieht etwas völlig Unerwartetes: Man will von ihm wissen, wann er das letzte Mal im Wald von Rahnsdorf gewesen sei. Natürlich hätte er unbeschadet lügen können. Die Polizisten wären zu dieser Zeit nicht in der Lage gewesen, ihm das Gegenteil nachzuweisen. Doch er lächelt verlegen und sagt spontan, ohne sichtbare Regung: „Ach, da im Wald … det mit die Frau … ick hab sie totjemacht!“ Zunächst hält man ihn für einen psychopathischen Aufschneider. Solcherart Selbstbezichtigung ist in der Praxis der Morduntersuchung nicht ungewöhnlich. Als er aber hinzufügt: „Mit det Messer hab ick in den Rücken gestochen, durch den Mantel durch … dann hab ick ihr in den Wald jezogen … an den Armen … und dann an ihr rumgemacht“, offenbart er das Wissen des wahren Täters. Er nennt Fakten, die bislang ein sorgsam behütetes polizeiliches Geheimnis waren. Wer sie kennt, muß entweder in der Morduntersuchung tätig oder selbst der Täter sein. Bert-Julius Geiger wird auf der Stelle festgenommen.
Wenig später bereitet Oberleutnant Vielitz die Tonaufzeichnungstechnik im schallgedämpften Vernehmungzimmer der MUK vor. Inzwischen unterzieht der Kriminaltechniker Wischnewski den Verdächtigen der üblichen erkennungsdienstlichen Prozedur: Fingerabdrücke abnehmen, ein dreiteiliges Täterlichtbild anfertigen, die sogenannten Signalemente gewissenhaft erfassen, Haar- und Fingernagelproben sichern, unzählige Protokolle und Karteikarten ausfüllen.
Bert-Julius Geiger wird vorgeführt. Vielitz läßt ihn vor dem Schreibtisch Platz nehmen und betrachtet ihn einige Augenblicke schweigend. Er läßt die schlaksige, unscheinbare Gestalt mit dem Kindergesicht auf sich wirken. Ein weiterer Mann erscheint im Raum. Mit einer Handbewegung deutet er Vielitz an, sich nicht von ihm stören zu lassen und setzt sich etwas abseits, um dem Geschehen beiwohnen zu können.
Unsicher schaut Geiger um sich. Vielitz erklärt: „Das ist der Herr Staatsanwalt. Er möchte nur zuhören. Vielleicht wird er Ihnen später einige Fragen stellen.“
Verlegen rutscht Bert-Julius Geiger auf der Sitzfläche seines Stuhls umher. Sein Gesicht verrät höchste Anspannung.
Vielitz beginnt die lange Vernehmung, die erst viele Stunden später beendet sein wird: „Schildern Sie uns mal im Zusammenhang, was da am 24. März passiert ist. Fangen Sie am besten damit an, als Sie früh aufgestanden sind. Später wollen wir dann die Details klären!“
Geiger spielt zunächst verlegen mit seinen Fingern und scheint zu überlegen. Als würde plötzlich ein innerer Ruck durch seinen Körper gehen, richtet er sich auf, schaut Vielitz geradewegs in die Augen, kratzt sich ungehemmt mit beiden Händen die Kopfhaut und spricht mit trockenem Mund: „Na, ja! Ick hab ja da nich jeschlafen, hatte bis um sechs Nachtschicht. Nach acht war ick erst zu Hause. Denn hab ick gepennt, bis kurz nach drei, jejessen und so. Ick wollte nach Köpenick ins Kino. Ick bin mit de Straßenbahn von Rüdersdorf nach Schöneiche jefahren, zu meinem Versteck, wissen Sie, wo det Trafohäuschen an der Bushaltestelle is. Da hab ick det Messer jeholt und bin los, aber nicht ins Kino. Bin rumgeloofen. Dann an der S-Bahn in Rahnsdorf hab ick die Frau jesehen. Hat mir jefallen. Da bin ick hinterher. Keen Mensch in der Nähe. Dachte ick, jetzt jehste ran an ihr. Dann bin ick hin. Komm in den Wald, hab ick jesacht, zieh dir aus! Doch sie is weiterjejangen, hat mich wegjeschubst. Da hab ick Rot jesehn und hab jestochen, in’n Rücken,
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