Ekel / Leichensache Kollbeck
gleich durch’n Mantel!“
Geiger sieht Vielitz an, als wolle er ergründen, wie dieser auf seine Schilderung reagiert. Doch Vielitz zeigt keine Emotion, sagt nur: „Und weiter …?“
„Sie is zusammenjesackt. Da hab ick ihr jenommen und in’n Wald rinjezogen, hinjelegt und dann ausjepellt und mit ihr rumjemacht. Aber nich richtig, nur mit die Hände. Dann hab ick mir eenen runterjeholt. Dann nischt wie weg, zur Nachtschicht!“ Geiger macht eine Pause.
Vielitz und der Staatsanwalt blicken sich vielsagend an.
Diese gefühlskalte, nüchterne Schilderung erschüttert sie doch. „Daß das eine Straftat ist, wissen Sie doch wohl?“ fragt der Staatsanwalt unbeholfen.
Geiger nickt, streicht einmal heftig mit dem Zeigefinger über seinen Kehlkopf und sagt: „Klar doch! Rübe runter, ick weeß!“ Vielitz macht ihm verständlich, daß gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes eingeleitet wird und belehrt ihn offiziell über seine Rechte: „Sie werden nach § 61 der Strafprozeßordnung bis spätestens zum Abschluß des Verfahrens über alle Beweismittel unterrichtet. Sie können alles vorbringen, was die erhobene Beschuldigung ausräumt oder die strafrechtliche Verantwortlichkeit mindern kann. Sie können sich selbst verteidigen und sich in jeder Lage des Verfahrens eines Verteidigers bedienen. Sie können Beweisanträge und andere Anträge zur Durchführung des Verfahrens stellen und Rechtsmittel einlegen. Haben Sie das verstanden?“
Bert-Julius Geiger schaut ihn an und nickt: „Ja, hab ick!“
„Wenn Sie’s nicht verstanden haben sollten, dann erkläre ich es Ihnen nochmal. Sie müssen es nämlich unterschreiben!“
„Nee, nee, is nich nötig, hab verstanden“, wehrt Geiger ab, eine Spur von Entrüstung in seiner Miene.
Im Verlaufe der weiteren kriminalpolizeilichen Ermittlungen und Überprüfungen bestätigen sich die Einlassungen des beschuldigten jungen Mannes, der, ohne es zu wissen, das Wiederaufleben der Angst vor dem unheimlichen Rahnsdorfer Messerstecher verursacht hat. Bis zum Abschluß der Ermittlungen bleibt er stets kooperativ und von freundlicher Grundstimmung.
Mehrere Wochen dauert die Begutachtung durch einen forensischen Psychiater der Charité. Dann steht es fest: Bert-Julius Geiger ist nur vermindert zurechnungsfähig. Er ist eine schwerwiegend abnorme Persönlichkeit, die vor allem in der geistigen Entwicklung erheblich zurückgeblieben ist. Dieser Defekt beeinträchtigt ihn in bestimmten Lebenssituationen beträchtlich. Einerseits führt er zu bedrückender Hemmung und Selbstwertbeeinträchtigung, andererseits zu Jähzorn und ungebremsten affektiven Entladungen, die erhebliche Aggressionen zur Folge haben können. Seine Kindheit verbrachte er bei den Großeltern, ohne emotionalen Bezug. Die Schule verließ er bereits mit der 6. Klasse. Er wurde Druckgehilfe, war fleißig und gewissenhaft. Doch er blieb extrem schüchtern, in seinem Selbstbewußtsein schwer lädiert, unfähig zu normaler Konfliktbewältigung und sozialer Kommunikation. So blieb er ein absonderlicher Einzelgänger.
Einen Tag nach dem Mord stahl er aus einem Grundstück Damenunterwäsche, zog sich in die Stille des Waldes zurück und masturbierte, in der Phantasie das schreckliche Geschehen des Vorabends genußvoll nacherlebend.
Der Strafsenat 2 a des Ost-Berliner Stadtgerichts bejahte die Schuldfähigkeit Geigers für den Mord, obwohl die Voraussetzungen für eine verminderte Zurechnungsfähigkeit vorgelegen haben und verurteilte ihn zu lebenslangem Freiheitsentzug.
Wenn man den Auskünften glauben darf, ist Bert-Julius Geiger seit einiger Zeit wieder auf freiem Fuß. Im psychiatrischen Haftkrankenhaus im sächsischen Waldheim wurde er erfolgreich therapiert. Heute führt er ein unauffälliges Leben im Hause seiner Eltern.
Oberleutnant Vielitz machte in der Kriminalpolizei Karriere. Doch im Februar 1986 erlitt er eine schwere endogene Depression. Er verkroch sich wie ein Tier unter dem Unrat einer Berliner Großgärtnerei und beendete durch einen gezielten Kopfschuß aus der Dienstwaffe sein Leben. Tagelang blieb er vermißt, bis man zufällig seine Leiche fand.
Oberleutnant Meinicke, bis zur Wende in der Morduntersuchung tätig, wurde 1990 im Alter von 56 Jahren von seinem Dienstherrn mit sanfter Gewalt in den Vorruhestand gedrängt, während der Kriminaltechniker Wischnewski, trotz seines Alters von 57 Jahren, im Dienstgrad zurückgestuft, in der vereinten Polizei Berlins „weitere Verwendung“
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