El Chapo - Beith, M: Chapo - The Last Narco
Mord und Totschlag. Damals waren Macheten noch die bevorzugten Waffen der Campesinos, während sie heute, nach dem Einzug der Moderne, durch leicht zu beschaffende Schusswaffen ersetzt wurden. Dennoch kommen altmodische Duelle, die mit Pistolen im Morgengrauen ausgefochten werden, immer noch vor.
Auch wenn es keinen Zweifel daran geben kann, dass das Fehlen einer Macht, die in der Lage wäre, den Gesetzen Nachdruck zu verschaffen, einen wesentlichen Anteil an der Gewaltkultur hat, führen einige Einheimische sie auf das Temperament der Menschen zurück, die als »caliente«, als heißblütig gelten, während andere das Klima, das sie ebenfalls als »caliente« beschreiben, verantwortlich machen. Der Psychoanalytiker Luis Ricardo Ruiz, der sich heute um sinaloensische Drogenabhängige kümmert, nimmt in seinem Urteil über die Wurzel der Gewalt kein Blatt vor den Mund: »Drogen wecken nicht etwas, was nicht bereits in dir schwelt. Ein Schlächter ist ein Schlächter.«
Auf diesen Grundfesten wuchsen sowohl die Stadt Culiacán als auch der Drogenhandel. Bis in die vierziger Jahre des vergangenen
Jahrhunderts hatte Culiacán seine geografische Isolation nicht überwinden können oder wollen. Dies änderte sich erst, als die Stadt eine Welle griechischer und chinesischer Einwanderer aufnahm, die an der sinaloensischen Küste strandeten. Und einige Jahre später brachte eine neue Bahnverbindung, die von Mexiko-Stadt über Guadalajara nach Culiacán führte, Mexikaner aus allen Landesteilen nach Sinaloa. Culiacán boomte und begann in einem Tempo zu wachsen, das noch immer unvermindert anhält.
In den Sechzigern waren die Ranches der Reichen außerhalb der Stadt von Wohngebieten der Mittelschicht und der Armen umgeben. Die Industrie spülte Geld in die Stadt, und die Landwirtschaft gedieh. Wie auch der Schmuggel. Ortsansässige, die damals in Culiacán aufwuchsen, erinnern sich noch lebhaft daran, dass Straßenverkäufer Waren aus den USA, deren Import damals von der Zentralregierung untersagt war, in den Straßen und auf den Märkten der Stadt feilboten. Während man selbst auf den Straßen der kosmopolitischen Hauptstadt importierte Kleider und Schuhe nur selten antraf, waren sie oben im Norden, in Sinaloa, bereits der letzte Schrei. Vor allem die Kinder aus der Mittel- und Unterschicht verzehrten sich danach.
Vielleicht gab es deshalb in Sinaloa keine soziale Ächtung illegaler Aktivitäten, und wenn der Schmuggel von Konsumgütern akzeptiert wurde, warum sollte es dann beim Anbau und Schmuggel von Drogen anders sein?
Selbst die USA hatten den Drogen noch längst nicht den Krieg erklärt; Verschwörungstheoretiker behaupten heute sogar, dass die mexikanische und die US-amerikanische Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg eine stillschweigende Vereinbarung getroffen hätten, nach der Sinaloenser die US-Nachfrage nach Heroin befriedigen sollten, doch die meisten Experten bestreiten diese Behauptung. Die Männer, die damals den Drogenhandel kontrollierten, waren überwiegend Politiker oder Mitglieder der gesellschaftlichen Elite. Einige
verdienten ihr Geld in der Landwirtschaft, andere im Importgewerbe. Sie waren Geschäftsleute, keine Narcos.
Damals existierte das Wort Narco noch gar nicht. Diejenigen, die im Drogenhandel ihr Geld verdienten, diejenigen, die sich beim Anbau und Schmuggel von Marihuana und Opium die Hände schmutzig machten, nannte man entweder Gomeros oder weniger freundlich »Buchones« (»Kröpfe«). Da sie in der Sierra lebten, aßen die Buchones so gut wie kein Salz, das damals noch ein kostbares Gut war, und entwickelten deshalb Kröpfe. Heute steht das Wort fast nur noch für jemanden, der sein Geld auf illegale Weise verdient, und viele junge Sinaloenser glauben sogar, es beziehe sich auf die Goldketten, die die Narcos um den Hals tragen.
In den sechziger und siebziger Jahren waren die heute überall präsenten Goldketten und auffälligen Kleider auf den Straßen von Culiacán nirgends zu sehen. Während die Buchones ihrer harten Arbeit nachgingen, gingen die Capos schlicht ihren Geschäften nach. Natürlich leisteten sie sich Sportwagen und Designerkleidung und feierten auf ihren Anwesen rauschende Feste. Doch sie trugen ihren Reichtum mit einer gewissen Klasse zur Schau, und die Partys fanden in der Regel in den Stadtvillen von Gouverneuren und auf den Ranches von Unternehmern und Großgrundbesitzern statt. Insofern haftete dem Ganzen auch nichts Prahlerisches oder Bedrohliches an, denn
Weitere Kostenlose Bücher