El Chapo - Beith, M: Chapo - The Last Narco
Er wollte El Mayo ausschalten.
Ramón und seine Männer fuhren fünf Tage lang in einem VW Passat durch die feuchtschwüle Stadt an der Pazifikküste und befragten jeden ihrer Spitzel nach dem Aufenthaltsort des Gesuchten. Doch sie hatten kein Glück. Dies war El Mayos Terrain. Es war nicht so einfach, ihn zu finden.
Am fünften Tag parkte Ramón in der sogenannten »Zona Dorada« neben einem großen Hotel. Eine Gruppe Polizisten näherte sich seinem Fahrzeug und fragte nach den Papieren. Viele Cops in Mazatlán standen auf El Mayos Gehaltsliste. Manche waren nur korrupt, andere bezahlte Killer.
Ramón und seine Männer versuchten zu Fuß zu entkommen, doch die Cops holten sie schnell ein. Einer – dem Anschein nach ein Bundespolizist – ließ seine Marke aufblitzen, Pistolen wurden gezogen, es kam zu einer Schießerei. Einer der Männer aus Tijuana ging zu Boden. Einem anderen gelang es, in ein Hotel zu flüchten, doch die Cops verfolgten ihn und nahmen ihn fest. Dabei erschossen sie einen weiteren Widersacher.
Ramón Arellano Félix war von mehreren Kugeln getroffen worden. Er starb fünfzehn Minuten später auf dem Weg ins Krankenhaus. Offenbar hatte er sich mehreren plastischen Operationen unterzogen und reiste unter dem Namen Jorge
Pérez López, doch ein DNS-Test ergab später, dass es sich um Benjamíns Bruder Ramón handelte. 208
El Mayo hatte Ramón auf sein ureigenstes Terrain gelockt und dann die Cops dafür bezahlt, ihn umzubringen. So zumindest mutmaßte man in den USA. Die mexikanische Regierung hingegen dementierte nachhaltig eine Verwicklung El Mayos. Gegen ihn wurde nie Anklage erhoben.
Chapo und El Mayo übernahmen Tijuana nicht, aber nach der Ermordung von Ramón fand das Kartell nie mehr zu alter Stärke zurück. Nur einen Monat nach seinem Tod wurde sein Bruder Benjamín in Puebla festgenommen, ohne dass dabei ein Schuss fiel.
»Das Tijuana-Kartell ist vollkommen zerschlagen«, triumphierte die PGR. Die Schläge gegen die Feinde von El Mayo und Chapo sollten sich während des gesamten Jahrzehnts fortsetzen. 209
El Mayo allerdings zog unterdessen die Aufmerksamkeit der DEA auf sich.
Über Chapos Schulter
Ismael El Mayo Zambada García wurde am 1. Januar 1948 in El Álamo, Sinaloa, geboren. Wie El Padrino und später auch Chapo bemühte er sich, während seines Aufstiegs in der Kartell-Hierarchie keine große Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ursprünglich war er Bauer gewesen, hatte in seiner Jugend aber bereits als Killer in Ciudad Juárez gearbeitet.
El Mayo war immer ein Opportunist gewesen. »Er lernte schon früh, sich an die größeren Fische zu hängen, und dadurch erhielt er Zugang zu den Spitzen der Organisation«, sagt ein mexikanischer Beamter. Genau kalkulierend wartete er ab, bis die Gelegenheit günstig war.
Als El Padrino ihm und Chapo die Chance gab, das Sinaloa-Kartell zu übernehmen, war er bereits in den Vierzigern, ein gereifter Mann mit strategischem Weitblick. Ihm war klargeworden, dass der Korruption eine Schlüsselrolle im Drogengeschäft zukam, und er setzte die Beltrán-Leyva-Brüder darauf an, die richtigen Leute zu bestechen. Es kursierte sogar das Gerücht, El Mayo habe Ende der Neunziger den damaligen Präsidenten Ernesto Zedillo gekauft, doch dies konnte nie bewiesen werden.
El Mayo tötete nie zum Vergnügen. Den DEA-Agenten zufolge, die ihn observierten, waren es immer geschäftliche Gründe. Er war skrupellos, aber auf eine kühl berechnende Weise. Im Gegensatz zu den Arellano-Félix-Brüdern, die sich von ihrem Temperament verleiten ließen, plante er seine Morde minutiös. Wie Chapo beschäftigte er einen erfahrenen Sicherheitschef, Gustavo Inzunza Inzunza, alias »El Macho Prieto« (»der dunkle Macho«). Furchtlos und gelassen, wurde er vor allem für seine Zusammenstöße mit den Federales berüchtigt, denen er sich mit Bazookas entgegenstellte.
El Mayo hatte von den Besten gelernt – nicht zuletzt, als er Verbindungsmann zu den Kolumbianern war. Während viele mexikanische Narcos, Chapo eingeschlossen, einfach den US-Markt mit Drogen überschwemmen wollten, verstand El Mayo das ökonomische Grundgesetz von Angebot und Nachfrage. Ihm war bewusst, dass die Preise fallen und er am Ende weniger verdienen würde, wenn zu viel Stoff auf den US-amerikanischen Straßen auftauchte. Dieses rationale Denken führte schließlich dazu, dass die mexikanischen Kartelle auch nördlich der Grenze expandierten, um den Vertrieb zu kontrollieren. 210
Chapo
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