El Chapo - Beith, M: Chapo - The Last Narco
bewaffneter Männer betritt ein gut besuchtes Restaurant, sammelt freundlich die Mobiltelefone ein und bittet die Gäste, Platz zu behalten, bis Chapo gespeist hat.
Die Behörden sehen sich jedes Mal gezwungen, den Vorfall zu untersuchen oder zumindest festzustellen, ob er sich tatsächlich so zugetragen hat. Meistens ist es jedoch so gut wie unmöglich, Einzelheiten zu erfahren, denn das Restaurantpersonal leugnet in allen Fällen, dass etwas vorgefallen sei.
Als eine Boulevardzeitung aus Nuevo Laredo – eine der heiß umkämpften Städte an der Grenze – einen Bericht über einen von Chapos Restaurantbesuchen veröffentlichte, bestritt der Geschäftsführer vehement, dass der Besuch stattgefunden habe. Doch dem FBI gelang es, Zeugen des Vorfalls ausfindig zu machen, und die Los Angeles Times brachte eine große Story: »Der General kam, um das Schlachtfeld zu inspizieren«, schrieb Korrespondent Richard Boudreaux über Chapos unverfrorenen Auftritt.
Innerhalb eines Monats wurde Chapo angeblich in der zentralmexikanischen Stadt Guanajuato, der südöstlichen Stadt Villahermosa an der Grenze zu Guatemala und tief in Zentralamerika gesichtet. Die PGR ging jeder dieser »Erscheinungen« und jedem »Gerücht« nach, konnte aber nie eine Bestätigung erlangen. 289
In Städten wie Culiacán, Monterrey, Torreón und Mexicali lösen Gerüchte über Chapos bevorstehendes Auftauchen Massenaufläufe aus. Die Bewohner der Sierra, ja sogar die Menschen aus Badiraguato am Fuße der Berge rechnen jederzeit mit seinem Erscheinen. Viele nennen ihn aus Hochachtung »Viejon« (»großer alter Mann«) oder »Tio« (»Onkel«).
»Alle achten und respektieren ihn«, sagt ein Mann, der behauptet, in den Bergen von Durango mit ihm zusammengearbeitet zu haben. Dafür gibt es gute Gründe. Als heftige Regenfälle einmal die regionale Ernte zerstört hatten, spendete Chapo seinen Gomeros Hilfsgüter im Wert von mehreren Zehntausend Dollar. Und an Weihnachten trafen weitere Geschenke ein: einhundert Geländewagen für die Einheimischen. 290
Die Behörden behaupten, Chapo sei ein »Verführer«, er erwecke den Eindruck, die Menschen zu »beschützen«. Dadurch schafft er sowohl unter seinen Mitarbeitern als auch bei den Bewohnern der Region, die nichts mit dem Drogenhandel zu tun haben, Loyalität und Vertrauen. Aufgrund seiner einnehmenden
Art vertraut ihm das gesamte Netzwerk, und so bleibt die Struktur der Organisation intakt. Dennoch gibt es eine merkwürdige Koexistenz: Chapo könne, glaubt die PGR, jederzeit sowohl Solidarität und Mitgefühl als auch »ehrfurchtheischenden Schrecken« verbreiten.
Diese Ehrfurcht, die die Menschen Chapo entgegenbringen, erzürnt die Behörden am meisten. »Warum soll man einen Typen unterstützen, der die Gesellschaft vergiftet?«, fragt ein in Mexiko-Stadt stationierter DEA-Agent wütend. 291
Auch die mexikanische Regierung hat wiederholt ihrem Ärger über die Art und Weise Luft gemacht, wie die Medien Chapo glorifizieren. Zum einen, weil sie dadurch beständig an ihr eigenes Versagen im Drogenkrieg erinnert wird, zum anderen aber auch, weil man befürchtet, so seinen Heldenstatus zu zementieren.
Als Forbes Chapo auf Platz 701 der reichsten Personen der Welt setzte, reagierte die Calderón-Administration erbost. Der Präsident persönlich verdammte das Wirtschaftsmagazin und warf ihm und anderen vor, »nicht nur ständig Mexiko zu attackieren und Unwahrheiten über die Situation im Land zu verbreiten, sondern auch noch Kriminelle zu verherrlichen«.
Der damalige Generalstaatsanwalt Eduardo Medina Mora erklärte den Bericht für fehlerhaft und warf den Verantwortlichen Glorifizierung eines Kriminellen vor. Chapo in einem Atemzug mit ehrlichen Geschäftsleuten zu nennen, sei dem Prestige des Magazins nicht würdig, sagte Medina Mora und fügte hinzu: »Ich kann nicht umhin hinzuzufügen, dass dieser Reichtum im Falle meines Landes in der jüngsten Vergangenheit mit einer Welle der Gewalt verbunden ist, mit Konfrontationen rivalisierender Gangs und dem Tod zahlreicher unschuldiger Bürger, die ins Kreuzfeuer der Killer geraten sind. Ich werde nie akzeptieren, dass ein Krimineller als hervorhebenswert charakterisiert wird«, fuhr er fort. »Auch nicht
von einem Magazin wie Forbes . Dieser Mann wird für den Schmerz, den er der mexikanischen Gesellschaft und den Bürgern anderer Nationen zugefügt hat, bezahlen (und ins Gefängnis wandern). Dies und nichts anderes wird sein Los sein.«
Medina
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