El Silbador
Minuten erreichten sie die Räume, in denen sich die Freunde befanden. Auch hier keine Wachen. Und draußen immer noch der Lärm, den die wilden Heerscharen des Daj verursachten.
»Senor Doktor!« schrie Jardin auf, als er Michels ansichtig wurde.
Deste und Ojo hatten Tränen in den Augen. Der Kapitän war in Sekundenschnelle auf den Beinen. »Ist es soweit?« fragte Deste. Michel nickte.
»Verlieren wir keine Zeit mit großen Reden. Wir müssen sehen, daß wir den Palast so schnell wie möglich hinter uns bringen.« Isolde trat ein.
»Beeilen wir uns«, drängte sie auf Spanisch. »Wir müssen uns verkleiden. Ich habe keine Uniformen. So bleiben uns nur die Tücher, die hier auf den Ottomanen herumliegen. Hängt sie euch um, Senores, und seht zu, daß ihr aus den Shawls dort drüben an der Wand ein paar turbanähnliche Gebilde zusammenbringt.«
Sie griff selbst mit zu. Mit geschickten Fingern umwand sie einen Kopf nach dem anderen mit Tüchern. Als die losen Diwandecken nicht mehr ausreichten, riß man in großer Eile die Stoffbezüge von den Polstern.
Wie Zirkusfiguren sahen sie jetzt aus. Isolde blieb bei ihrer Verkleidung.»Und wo kommen wir nun heraus?« fragte Michel. »Der große Hof ist voller Truppen, und draußen wimmelt es von Arabern. Wir können uns doch gar nicht in die Nähe des Ganges wagen, der Hof und Straße miteinander verbindet.«
»Wir müssen in die Verließe hinunter. Dort gibt es einen Weg, der allerdings bewacht sein wird. Vielleicht lassen sich die Wächter für einen Augenblick von meiner Uniform täuschen.« Man eilte den menschenleeren Gang entlang, stolperte in den ungewohnten Umhängen die Marmortreppen hinunter und gelangte schließlich an die westliche Seite des Riesenbaues. Noch eine Treppe und noch eine. Marmor und Pracht hörten auf; es wurde dunkler. Man hatte wieder eine Tür vor sich. »Hier muß es sein«, flüsterte Isolde.
Michel versetzte der Tür einen kräftigen Stoß. Sie flog auf. Auf der anderen Seite vernahm man eine kreischende Stimme:
»Mein Gott! Mein Gott! Mein Gott! Wer kommt durch diese Pforte und betritt das Gefängnis des erhabenen Herrschers von Al-Dschesair?« »Wir«, sagte Isolde kurz und trat vor.
Der Wächter verneigte sich tief vor dem Janitscharenofflzier. »Wohin willst du, Herr?« fragte er ehrfurchtsvoll.
»Wir müssen hier durch. Befehl vom Daj.«
Der Wächter nickte und ging voran. Er hatte nicht erkannt, daß eine verkleidete Weiße in der Uniform des Janitscharenoffiziers steckte, obwohl er durch die Bart-losigkeit des Gesichtes hätte stutzig werden müssen; doch zum Glück herrschte hier Dämmerlicht. Deste wandte sich an Isolde:
»Hier ist das Gefängnis des Daj, Senorita?« flüsterte er so leise, daß der Wächter die fremden Laute nicht vernahm. Sie nickte.
Da setzte Deste plötzlich zu einem gewaltigen Sprung an. Er riß den vorangehenden Gefängniswärter zu Boden.
Die anderen erstarrten vor Schreck über diese Unbesonnenheit.
»Seid Ihr verrückt?« zischte Michel Baum.
Der Mann rang nach Luft und begann zu schreien.
Michel warf sich auch noch auf ihn. Mit seinem eigenen Hemd wurde der Mann geknebelt und gefesselt.
Michel und der Spanier richteten sich auf. »Wozu das, Deste?«
Die anderen warfen ihrem Kameraden finstere Blicke zu.
»Hört, amigos, wir sind hier im Gefängnis. Im Gefängnis aber liegen auch der Kapitän der »Medina« und sein Steuermann. Laßt uns die Zellen durchsuchen. Vielleicht finden wir sie und können sie befreien. Meint Ihr nicht, daß wir den Versuch unternehmen sollten, über See zu entkommen? Vielleicht weiß man auf dem Schiff noch gar nicht, daß er in Ungnade gefallen ist.«
Michel stimmte sofort zu. Er sah ein, daß dieser Plan vorzüglich war. Sofort nahm er den Schlüsselbund an sich und hob den gefesselten Wächter auf die Schultern.
Dann ging es von Zelle zu Zelle.
»Hanufa? — Kuteiba?« fragte Deste immer wieder.
Beim zehnten Versuch hatten sie Glück.
Abu Hanufa stürzte auf Deste zu.
»Wer du auch seist, Allah segne dich!« begann ersich mit strömenden Worten seinen Dank von der Seele zu reden. Deste unterbrach ihn.
»Kennst du uns nicht? Wir waren einmal deine Sklaven.«
Hanufa trat einen Schritt zurück und musterte die Befreier. Der weiße Bart des alten Porquez war das einzige, was er wiedererkannte.
»Mein Gott! — Allah beschütze mich! Komm her, Ibn Kuteiba, komm her, Abdallah! Sieh, wer gekommen ist, uns zu befreien.«
Ibn Kuteiba und Abdallah kamen nun
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