El Silbador
die Heerhaufen der Milizen mit ihren Pferden im großen Hof des Palastes und auf der Straße vor dem Portal. Wilde Janitscharenmusik schlug schmerzhaft gegen das Trommelfell.
Man muß sich, wenn man unsere Achttonfolge gewöhnt ist, vergegenwärtigen, daß in diesen Janitscharen-kapellen nur wenige Instrumente die Melodieführung innehatten, daß die vielen Begleitinstrumente jedoch alle nur auf ein und denselben Ton gestimmt waren. Sie dienten lediglich zu lärmvoller Unterstreichung des Rhythmus. Für europäische Ohren war das fast unerträglich. —
Der Daj trat auf einen Balkon und grüßte seine Reiterscharen. Seine Augen glühten fanatisch. Wenn er auch ein beleibter und behäbiger Herr war, so konnte man ihm doch keine Feigheit nachsagen.
»Allah wird uns führen, ihr Tapferen, ihr Mutigen, ihr Bannerträger des Propheten! Nun gehet hin und ruht euch aus. Morgen nach Sonnenaufgang reiten wir!« Wieder dröhnte die ohrenbetäubende Musik durch den Hof. Dann verliefen sich die Menschenmassen, und es wurde still in Algier. Die Stadt schlief. Die Krieger fieberten dem Morgenrot entgegen . . .
Michel fühlte sich durch den so unharmonischen Lärm der ungewohnten Musik seltsam aufgeregt. So sehr er sich auch bemühte, fand er doch keinen Schlaf. Bald hierhin, bald dorthin schweiften seine Augen. Bei dem kleinsten Geräusch fuhr er zusammen und griff unter das Ruhebett, wo der Säbel lag. Aber es ereignete sich nichts.
Stunde um Stunde verrann. Tausenderlei Gedanken und Erinnerungen schwirrten ihm durch den Kopf. Charlotte Eck trat mehr als einmal vor sein inneres Gesicht. Aber darüber schob sich ein anderes Antlitz: Marina, die sich nun Gräfin de Andalusia nannte. Im Halbschlaf wechselten diese beiden Erscheinungen stets miteinander ab. Michel fuhr unvermittelt auf.
Es war nichts. Ein Janitscharenoffizier kürzte sich den Weg ab und schritt durch das Gemach auf den Innenhof.
Michel war empört. Achtete man ihn bereits so gering, daß man sich erlaubte, einfach seine Ruhe zu stören? Er würde sich morgen mit Nachdruck beim Daj beschweren. Morgen! Wie würde das Leben morgen aussehen?
Der Offizier schritt dicht an seinem Lager vorbei. Direkt neben Michel ließ er wie unbeabsichtigt etwas fallen, etwas Weißes.
Michel reagierte anfangs nicht darauf. Aber als der Mann außer Sicht war, stand er auf und hob jenes Etwas auf. Ein Papierknäuel. Eine Nachricht etwa?
Er faltete das Blatt auseinander. Im Schein der trüben Öllampe erkannte er flüchtig hingeworfene Schriftzeichen. Und siehe da, es waren nicht etwa kufische, arabische Buchstaben, nein, lateinische!
»Wenn morgen früh der gleiche Lärm einsetzt, den Ihr heute Abend hörtet, so haltet Euch bereit, Sir. Vielleicht naht dann die Stunde der Freiheit. Die Wachen werden sich durch das Schauspiel des Aufbruchs der Truppen ablenken lassen. Ich bete, daß alles gelingt. Isolde Hawbury.«
Michels Herz schlug schmerzhaft schnell. War es möglich? War die Freiheit wirklich so nah? Er zerknüllte den Zettel in der Faust. War es nicht seine Pflicht, ihn zu vernichten? Stück um Stück verschlang er das Papier. Die Nachricht ließ ihn nun erst recht keine Ruhe finden.
Jardin, Porquez, Deste und Ojo erging es nicht besser.
Hatte ihnen die weiße Sklavin nicht gesagt, daß sie sich für diese Nacht bereithalten sollten? Warum geschah nichts?
»Es muß schon nach Mitternacht sein«, brach Porquez das Schweigen; er war am ungeduldigsten.
Deste verschränkte die Arme unter dem Kopf. Er wollte nicht mutlos werden. Irgendwie fühlte er, daß sich etwas ereignen würde.
»Wenn es nicht in dieser Nacht ist, so wird es in der nächsten sein, Senor Capitan«, versuchte er den Alten zu beruhigen.
»Ich überlege schon die ganze Zeit, wie diese Flucht überhaupt vonstatten gehen soll. Wohin fliehen wir denn? In die Wüste Sahara vielleicht? Ja, wenn wir ein Schiff hätten!« »Vielleicht liegt die »Medina« noch im Hafen?« wagte Ojo zaghaft einzuwenden. Niemand antwortete ihm.
Im Innern hatte sicher ein jeder diesen Gedanken schon erwogen. Aber es war Irrsinn, irgend welche Hoffnungen an diesen Segler zu knüpfen; denn man mußte mit der Mannschaft rechnen. Vielleicht hatte sich schon ein neuer Kapitän dort eingenistet? Es wurde spät und später. Kein Zeichen kam, daß es soweit war. Der Morgen graute.
Der Sprechgesang des Muezzins erklang vom Minareh. Seine eintönige Weise durchdrang die Mauern des Palastes. Die Wachen — hüben und drüben je eine, wie
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