Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
El Silbador

El Silbador

Titel: El Silbador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
Vom Netzwerk:
der alte Graf ein, »daß er sich an meinem Sohn vergriffen hat. Deshalb ist er ins Gefängnis ...«
    Charlotte lachte dem Grafen schallend ins Gesicht. »Ist es nicht mehr erlaubt, unerzogene Jungen in die Schranken zu verweisen, wenn sie sich an wehrlosen Mädchen vergreifen?« »Huch«, ließ sich da Frau Eck vernehmen und war dicht daran, in Ohnmacht zu versinken. »Nein, wie du sprichst, Kind! Es ist ja furchtbar, was für Worte so ein Mädchen von heute in den Mund nimmt.«
    Dem alten Grafen schien das Thema zu heikel zu werden. Er erhob sich unvermittelt und verbeugte sich zu Frau Eck hin.
    »Ich glaube, wir werden uns jetzt verabschieden, meine Gnädigste«, und zu Herrn Eck, »Äh... die geschäftlichen Sachen besprechen wir dann wohl am besten morgen.« Charlotte stand dicht an der Tür und lauschte nach draußen. Es war kein Laut zu hören. Ob Michel wohl schon in Sicherheit war?
    Vater Eck öffnete die Tür, um seine Gäste hinauszulassen, und prallte erschrocken zurück. Im Lichtschein stand Michel. Er hatte nicht mehr zur rechten Zeit vorbeikommen können. »Da ist er ja!« schrie Rudolf von Eberstein.
    Michel trat, da er sich nun einmal ertappt sah, ins Zimmer und begann — — zu pfeifen, laut und schrill. Schaurig. Seine Augen blitzten. Sein Blick lag fest auf seinem Widersacher. Charlotte hatte die Augen geschlossen und stand an der Wand. Wie mit Kreide überzogen war ihr Gesicht.
    Rudolf von Eberstein sah seine Chancen schwinden, als er den Degen an der Hüfte Michels bemerkte. Der alte Graf stand ziemlich verdattert da; denn er wußte beim besten Willen nicht, wie er seinem Sohn helfen konnte, die Situation zu meistern.
    »Hör zu, Rudolf Eberstein«, sagte Michel plötzlich in die lastende Stille. »Du hast mir genug angetan. Ich lasse dir zwei Möglichkeiten offen, und du kannst selbst wählen: entweder machen wir jetzt einen Gang, wobei ich es dann allerdings nicht nur auf deine Hose abgesehen hätte, oder ...?«
    »Oder?« fragte der alte Eberstein schnell, der offensichtlich Angst um seinen Sohn hatte. »Oder wir machen ein Geschäft. Du gibst mir dein Pferd, das du draußen im Hof angebunden hast, als Sühne für deine Gemeinheiten. Jeder freie Bürger kann von einem gerechten Gesetz Entschädigung für eine angetane Schmach verlangen. Du siehst, es ist kein unbilliges Geschäft. Dann sind wir quitt.«
    »Nehmen Sie den Gaul«, sagte der alte Geck aufatmend, froh, seinen Sohn so billig losgekauft zu
    haben.
    Rudolf, der gehörigen Respekt vor der Fechtkunst Michel Baums hatte, tat zwar im Anfang, als sei er nicht einverstanden, fügte sich dann aber dem Beschluß seines Vaters. Innerlich wurmte es ihn, daß er sich vor dem Mädchen, das er im stillen verehrte, nicht als Held aufspielen konnte. Die Tür fiel mit einem Krach zu. Draußen hörte man hastige Schritte sich entfernen. Dann scholl Hufgetrappel an die Ohren der Zurückgebliebenen.
    Charlotte weinte leise vor sich hin. Mit jedem Hufschlag entfernte sich der Geliebte weiter von ihr.
    Zwischen dem Vignemale und dem Mont Perdu, zwei über dreitausend Meter hohen Bergen in den Pyrenäen, liegen hart an der spanisch-französischen Grenze, aber schon auf spanischem Boden das Dorf Bielsa und das Schloß Villaverde.
    Es war im Spätherbst 1774, als eines Abends der Schäfer Pedro Jorge, der auf den Hängen des Gebirges die Schafe und Ziegen hütete, die dem Grafen de Villaverde y Bielsa gehörten, erschrocken von seinem Wiesenplatz aufsprang und ängstlich um sich blickte. Aus dem windschiefen Gebirgswald klang ein eigenartiges Pfeifen herüber, wie es der Schäfer noch nie gehört hatte. Irgendein fremdartiges Wesen mußte die Töne verursachen. Von hier bis hinüber in die baskischen Provinzen hatte Pedro Leute pfeifen gehört. So wie jetzt jedoch noch nie.
    Plötzlich erinnerte er sich an eine Geschichte, die er vor ein paar Wochen unten in Benasque gehört hatte. Dort erzählte man sich Wunderdinge von einem Mann, der bereits seit Monaten im Gebirge lebte, ohne daß ihn bisher jemand zu Gesicht bekommen hatte. Wenn die Hirten und Jäger von ihm sprachen, so nannten sie ihn »E1 Silbador«, was zu deutsch einfach »der Pfeifer« heißt.
    Diesem Mann rühmte man die unerhörtesten Abenteuer nach. Aber niemand wußte, was Wahrheit und was Dichtung war.
    El Silbador, ging es Pedro jetzt durch den Kopf. Vielleicht war der Pfeifer dort drüben im Wald tatsächlich jener geheimnisvolle Fremde? Wer konnte es wissen? Pedro bekreuzigte sich und

Weitere Kostenlose Bücher