El Silbador
flüsterte: »Hilf, Santa Maria, Madre de Dios.« Plötzlich krachte ein Schuß. Das Pfeifen verstummte für einen Augenblick, um bald erneut einzusetzen. Pedro schmiegte sich ängstlich an einen Baum. Da sah er, wie ein Mann aus dem Wald trat und einen ausgeweideten Gemsbock auf der Schulter trug. Der Fremde blieb stehen und musterte die Gegend. Dann schien er gefunden zu haben, was er suchte. Er schritt mit weit ausgreifenden Schritten auf eine windgeschützte Steinschlaghöhle zu. Dort warf er den Bock auf die Erde und entfachte ein Feuer. Ausgetrocknetes Reisig gab es an Ort und Stelle in Menge.Pedro wagte sich langsam hinter dem Baum hervor und starrte neugierig zu dem Fremden hinüber. Wenn er jetzt den Majordomo holte, so würde dieser den Jäger ohne weiteres gefangen nehmen, denn die Jagd in dieser Gegend war allein der gräflichen Familie vorbehalten, durch ein Dekret des Königs, wie Pedro wußte.
Pedro hatte vor Aufregung gar nicht gemerkt, daß er dem Fremden immer näher gekommen war. Er wurde erst stutzig, als dessen Pfeifen plötzlich verstummte. »Heda, hombre«, hörte er sich plötzlich angerufen. »Komm her und hilf mir, dieses Prachtexemplar von einem Bock zu zerlegen. Wirst auch nicht alle Tage Gelegenheit haben, so ein saftiges Stück Wildpret zwischen die Zähne zu bekommen.«
Pedro trat zögernd näher. Argwöhnisch musterte er den Ankömmling, der sich hier benahm, als gehöre ihm Grund und Boden.
»Was starrst du mich wie ein Wundertier an, Schäfer?« rief der Jäger gut gelaunt. »Hast du noch nie einen Fremden gesehen? Ich bin ein Mensch wie jeder andere.«
Damit widmete er sich wieder seinem Bock und begann erneut zu pfeifen.
Pedro stand noch immer unschlüssig. Er dachte nach. Würde er jetzt den Majordomo rufen, so durfte er damit rechnen, ein Lob des allmächtigen Haushofmeisters zu ernten. Aber was hatte er schon von einem Lob? Der Säckel mit den Goldstücken saß dem vornehmen Herrn nicht sehr locker. Andererseits konnte er sich hier zu diesem merkwürdigen Menschen setzen und an dessen Mahlzeit teilhaben. Die ersten Düfte des lieblichen Bratens stiegen ihm bereits vielversprechend in die Nase. Plötzlich meldete sich der Appetit bei ihm. Er trat an das Feuer. »Wer seid Ihr, Senor?« wagte er eine schüchterne Frage.
»Ein Jäger, der Hunger hat. Das siehst du doch. Was interessiert dich mein Name, du würdest ihn doch nicht verstehen.«
»Vielleicht kenne ich ihn schon«, wurde Pedro mutiger.
»Das ist unmöglich. Ich bin nicht aus Spanien. Du würdest ihn gar nicht aussprechen können.«
Der Schäfer lächelte siegesbewußt. Dann sagte er mit selbstgefälliger Stimme:
»Ihr seid El Silbador, habe ich recht?«
Der andere lachte wie über einen guten Witz.
»Nenne mich immerhin so. El Silbador, nicht übel. Paßt gar nicht schlecht zu meiner Art, mich zu unterhalten. Du mußt nämlich wissen: ich pfeife gern.« Pedro sah ihn verblüfft an.
»Eben darum hat man Euch vermutlich diesen Namen gegeben.« Jetzt war die Reihe zu staunen an dem Jäger.
»Man hat mir diesen Namen gegeben? Ja, wer denn? Ich kenne doch hier weit und breit keinen Menschen.«
»Euch kennt hier auch niemand persönlich.«
»Natürlich nicht. Ihr seid der erste Mensch, mit dem ich spreche, seit ich mich hier im Gebirge aufhalte.«
In Pedro dämmerte es langsam. So schien der berühmte Silbador gar nicht zu wissen, wie bekannt er war. Die vielen Geschichten, die man sich von ihm erzählte, beruhten aller Wahrscheinlichkeit nach nur darr auf, daß irgendein Jäger hin und wieder einmal von fern sein schauriges Pfeifen vernommen hatte.Die Leute hier herum waren abergläubisch. Wenn sie etwas nicht recht fassen konnten, machten sie sogleich eine Legende daraus.
»Muy bien, Senor«, sagte der Schäfer jetzt, »so kann ich Euch mitteilen, daß man bis hinunter nach Benasque von Euch spricht. Jeder Gebirgler hat schon von Eurer unheimlichen Pfeiferei gehört.«
Der Silbador schnitt sich ein großes Stück vom Rücken des Bockes herunter.
»Greif zu, Schäfer. Wenn wir eine Flasche Wein hier hätten, so könnten wir auf meine Taufe
trinken.« Pedro stand auf.
»Wartet eine Minute, Senor. Ich habe Wein in meiner Hütte. Es ist zwar keiner von der besten Sorte, aber dennoch läuft er die Kehle hinunter wie Wasser.«
Als Pedro nach kurzer Zeit mit einer Korbflasche zurückkehrte, warf ihm der Silbador ein silbernes Geldstück zu und meinte fröhlich:
»Trink, Bruder, auf meine Rechnung. Kannst dir
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