Elantris
untergegangen.«
»Nein«, hauchte Galladon mit weit aufgerissenen Augen.
Raoden nickte bekräftigend. »Es hat eine Revolution gegeben, wie die in Arelon vor zehn Jahren, aber sogar noch gewalttätiger. Die herrschende Klasse ist völlig vernichtet worden, und man hat eine Monarchie ins Leben gerufen.«
»Unmöglich ... Die Republik ist stark gewesen! Wir alle haben so sehr daran geglaubt.«
»Die Dinge ändern sich, mein Freund.« Raoden erhob sich und trat zu Galladon, um ihm eine Hand auf die Schulter zu legen.
»Nicht die Republik, Sule.« Galladon starrte ins Leere. »Wir alle konnten die Regierung wählen. Warum sollte man dagegen aufbegehren?«
Raoden schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Viele Informationen sind nicht bis zu uns durchgedrungen. Es war eine Zeit des Chaos in Duladel. Deshalb konnten die fjordellischen Priester aufkreuzen und die Macht an sich reißen.«
Galladon hob den Blick. »Das bedeutet, dass Arelon in Gefahr schwebt. Wir waren immer da und haben die derethischen Horden von euren Grenzen ferngehalten.«
»Das ist mir klar.«
»Was ist mit Jesker passiert?«, fragte er. »Meine Religion, was ist damit geschehen?«
Raoden schüttelte nur den Kopf.
»Irgendetwas musst du doch wissen!«
»Jetzt ist der Shu-Dereth die Staatsreligion in Duladel«, sagte Raoden leise. »Es tut mir leid.«
Galladon senkte den Blick. »Dann ist sie also verschwunden.«
»Es gibt immer noch die Mysterien«, gab Raoden matt zu bedenken.
Galladon runzelte die Stirn. Sein Blick war unerbittlich. »Die Mysterien sind nicht das Gleiche wie Jesker, Sule. Sie sind ein Gespött alles Heiligen. Eine Verirrung. Nur Außenstehende - Menschen ohne das geringste Verständnis für Dor - praktizieren die Mysterien.«
Raoden ließ seine Hand auf der Schulter des trauernden Mannes, ohne zu wissen, wie er ihm Trost spenden sollte. »Ich dachte, du weißt Bescheid«, sagte er erneut und fühlte sich immer noch hilflos.
Galladon stöhnte einfach nur und starrte verdrießlich vor sich hin.
Raoden ließ Galladon auf dem Dach zurück. Der große Dula wollte mit seinem Schmerz allein sein. Da Raoden nicht wusste, was er sonst tun sollte, kehrte er völlig in Gedanken versunken zu der Kapelle zurück. Doch er blieb nicht lange in Gedanken versunken.
»Kahar, es ist wunderschön!«, rief Raoden und blickte sich staunend um.
Der alte Mann sah von der Ecke auf, die er gerade putzte. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck tiefen Stolzes. Die Kapelle war von ihrer schleimigen Schmutzschicht befreit, übrig geblieben war nur sauberer, weißgrauer Marmor. Sonnenschein durchflutete die Fenster auf der Westseite, wurde von dem glänzenden Boden reflektiert und ließ die gesamte Kapelle in einer beinahe göttlichen Helligkeit erstrahlen. Flachreliefs bedeckten beinahe jede Oberfläche. Da die plastischen Elemente lediglich einen guten Zentimeter hoch waren, waren sie unter dem Schmutz völlig verdeckt gewesen. Raoden ließ den Finger über eines der winzigen Meisterwerke gleiten. Die Gesichter der dargestellten Menschen waren so detailliert herausgearbeitet, dass sie beinahe lebendig wirkten.
»Sie sind erstaunlich«, flüsterte er.
»Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, dass sie überhaupt da sind, Mylord«, sagte Kahar und humpelte zu Raoden herüber. »Ich habe sie nicht gesehen, bis ich mit dem Putzen angefangen habe, aber selbst dann waren sie noch in den Schatten verborgen, bis ich mit dem Boden fertig war. Der Marmor ist so glatt, dass es sich um einen Spiegel handeln könnte, und die Fenster sind genau an der richtigen Stelle, um das Licht einzufangen.«
»Und die Reliefs gehen um den ganzen Saal?«
»Ja, Mylord. Das hier ist nicht das einzige Gebäude, in dem es so etwas gibt. Gelegentlich stößt man auf eine Wand oder ein Möbelstück mit entsprechenden Elementen. Wahrscheinlich waren sie vor der Reod in Elantris weit verbreitet.«
Raoden nickte. »Es war die Stadt der Götter, Kahar.«
Der alte Mann lächelte. Seine Hände waren ganz schwarz vor Dreck, und an seiner Schärpe hing ein halbes Dutzend zerschlissener Putztücher. Doch er war glücklich.
»Was nun, Mylord?«, fragte er voller Eifer.
Raoden zögerte und dachte blitzschnell nach. Kahar hatte den Schmutz in der Kapelle mit der gleichen heiligen Empörung in Angriff genommen, mit der ein Priester gegen die Sünde zu Felde zog. Zum ersten Mal seit Monaten, vielleicht sogar Jahren, war Kahar gebraucht worden.
»Unsere Leute haben sich in den Häusern hier in der Nähe
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