Elantris
erkannte.
»Ihr!«, sagte sie verblüfft.
Der Elantrier namens Lebensgeist lächelte und nahm ihr die Kiste aus den erstarrten Fingern. »Ich habe mich schon gefragt, wie lange es dauern würde, bis Ihr meine Anwesenheit bemerkt.«
»Wie lange ...«
»Ach, vor etwa zehn Minuten«, erwiderte er. »Ich bin kurz, nachdem Ihr mit dem Entladen angefangen habt, hergekommen.«
Lebensgeist trug die Kiste zu dem Stapel mit den übrigen Kisten. Sarene stand vor Verblüffung stumm auf dem hinteren Ende des Karrens. Sie musste seine dunklen elantrischen Hände mit Shudens braunen Händen verwechselt haben!
Als Eondel sich vor ihr räusperte, merkte Sarene entgeistert, dass er auf eine Kiste wartete. Rasch gab sie ihm eine.
»Warum ist der hier?«, rätselte sie, als sie die Kiste in Eondels Arme fallen ließ.
»Er behauptet, sein Herr habe ihm befohlen, die Verteilung im Auge zu behalten. Anscheinend traut Aanden Euch ungefähr genauso weit über den Weg wie Ihr ihm.«
Sarene reichte die letzten beiden Kisten weiter und sprang dann von dem Karren. Doch sie kam ungünstig auf dem Kopfsteinpflaster auf und rutschte auf der Schmutzschicht aus. Mit einem Aufschrei fiel sie nach hinten, wobei sie mit den Armen durch die Luft ruderte.
Glücklicherweise packten sie zwei Hände und zogen sie wieder nach oben. »Vorsicht«, warnte Lebensgeist. »Das Gehen in Elantris ist ein wenig
gewöhnungsbedürftig.«
Sarene entzog sich seinem hilfreichen Griff. »Danke«, murmelte sie mit höchst unprinzessinnenhafter Stimme.
Lebensgeist zog eine Augenbraue empor, dann trat er neben die arelischen Lords. Mit einem Seufzen rieb Sarene sich die Stelle an ihrem Ellbogen, an der er sie gehalten hatte. Seine Berührung hatte etwas merkwürdig Zärtliches an sich gehabt. Sie schüttelte den Kopf, um derartige Phantasien zu verjagen. Im Moment verlangte Wichtigeres nach ihrer Aufmerksamkeit: Die Elantrier kamen nicht näher.
Mittlerweile waren es mehr, vielleicht fünfzig, die sich zaudernd wie eine Schar Vögel in den Schatten zusammendrängten. Bei manchen handelte es sich offensichtlich um Kinder, doch bei den meisten ließ sich das Alter nicht bestimmen. Die elantrische runzelige Haut ließ sie alle so alt wie Roial aussehen. Keiner näherte sich den Lebensmitteln.
»Warum kommen sie nicht her?«, wollte Sarene verwirrt wissen.
»Sie haben Angst«, sagte Lebensgeist. »Und sie können es nicht glauben. So viel Essen muss wie Einbildung wirken - ein teuflischer Streich, den ihr Verstand ihnen bestimmt schon Hunderte Male gespielt hat.« Er sprach leise, ja sogar mitleidsvoll. Seine Worte klangen nicht nach einem despotischen Kriegsherrn.
Lebensgeist bückte sich und wählte eine Rübe aus einer der Kisten aus. Er hielt sie sanft und starrte sie an, als könne er selbst kaum glauben, dass sie tatsächlich da war. In seinem Blick lauerte Gier - der Hunger eines Mannes, der schon seit Wochen nichts Richtiges zu essen bekommen hatte. Verdutzt stellte Sarene fest, dass dieser Mann genauso ausgehungert war wie die anderen, trotz seiner Vorzugsstellung. Und er hatte geduldig geholfen, etliche Kisten voll Nahrungsmitteln von dem Karren zu laden.
Endlich hob Lebensgeist die Rübe an den Mund und biss hinein. Es gab ein Knacken, und Sarene konnte sich gut vorstellen, wie sie schmecken musste: roh und bitter. Doch wenn man nach seinem Blick ging, handelte es sich um eine Köstlichkeit.
Dass Lebensgeist die Nahrung annahm, schien Eindruck auf die anderen zu machen, denn die Menschenmenge drängte auf einmal vorwärts. Da wurden die elantrischen Wachsoldaten aufmerksam. Sie umzingelten Sarene und die anderen hastig, die langen Speere drohend von sich gestreckt.
»Lasst ein wenig Platz, hier vor den Kisten«, befahl Sarene.
Die Wachen traten beiseite, sodass jeweils ein paar Elantrier auf einmal herantreten konnten. Sarene und die Lords standen hinter den Kisten und verteilten Nahrungsmittel an die erschöpften Bittsteller. Selbst Ahan hörte mit seinem Genörgele auf, als er sich ans Werk machte und unter feierlichem Schweigen Essen ausgab. Sarene sah, wie er einen Beutel an ein Wesen reichte, bei dem es sich um ein kleines Mädchen handeln musste, obgleich es einen kahlen Schädel und von Falten zerfurchte Lippen hatte. Das Mädchen lächelte mit einer Unschuld, die nicht zu seinem Aussehen passen wollte. Dann huschte es davon. Ahan hielt einen Augenblick inne, bevor er in seiner Tätigkeit fortfuhr.
Es funktioniert, dachte Sarene erleichtert. Wenn sie Ahan
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