Elantris
ausharren wird.«
»Drei Tage schon«, sagte Galladon. »Muss langsam Hunger kriegen. Kolo?«
Raoden nickte. Selbst nach drei Tagen ununterbrochenen Betens war die Stimme des Gyorns immer noch fest. In Anbetracht der Dinge konnte Raoden nicht anders, als die Entschlossenheit des Mannes zu respektieren.
»Tja, sobald ihm klar wird, dass er nichts bewirkt, laden wir ihn ein, sich uns anzuschließen«, sagte Raoden.
»Ärger, Sule«, warnte Galladon. Raoden folgte der Geste des Dulas und erkannte ein paar zusammengekauerte Gestalten im Schatten zur Linken des Gyorns.
Fluchend beobachtete Raoden, wie Shaors Männer sich aus der Gasse stahlen. Anscheinend hatten sie ihr Essen noch schneller aufgebraucht, als Raoden angenommen hatte. Wahrscheinlich waren sie zu dem Platz zurückgekehrt, um nach
Resten zu suchen, hatten jedoch etwas Vielversprechenderes gefunden: den noch vollen Essenskorb zu Füßen des Gyorns.
»Komm«, drängte Raoden und wandte sich ab, um von dem Dach hinabzusteigen. Früher hätten sich Shaors Männer vielleicht direkt über das Essen hergemacht. Doch die Ereignisse der letzten Zeit hatten die Barbaren verändert. Sie hatten angefangen, andere Elantrier unterschiedslos zu verletzen - als hätten sie erkannt, dass die Wahrscheinlichkeit stieg, an Nahrung zu gelangen, wenn sich ihnen weniger Münder entgegenstellten.
»Ich möge in der Doloken dafür schmoren, dass ich einem Gyorn helfe«, murmelte Galladon und folgte ihm. Leider waren er und Raoden nicht schnell genug. Sie kamen zu spät ... um Shaors Männer zu retten.
Als Raoden um die Häuserecke bog, stürzte sich gerade der erste Barbar von hinten auf den Gyorn. Der Fjordeller sprang auf, wirbelte mit schier übermenschlicher Geschwindigkeit herum und packte den Mann aus Shaors Bande am Kopf. Es knackte laut, als der Gyorn seinem Gegner das Genick brach. Dann warf er ihn gegen das hölzerne Tor. Die anderen beiden griffen gemeinsam an. Einer erntete einen kraftvollen Tritt und wurde wie ein Haufen Lumpen über den Platz geschleudert. Der andere bekam drei Hiebe mitten ins Gesicht und anschließend einen Tritt in die Magengegend ab. Das Wutgeheul des Wahnsinnigen schlug jäh in ein Winseln um, als der Gyorn dem Mann einen weiteren Tritt seitlich gegen den Kopf versetzte.
Raoden kam stolpernd zum Stehen. Sein Mund stand halb offen.
Galladon schnaubte. »Hätten wir uns gleich denken können. Derethische Priester können allein auf sich aufpassen. Kolo?«
Raoden nickte langsam und sah zu, wie der Priester sich wieder geschmeidig auf die Knie sinken ließ und weiterbetete. Zwar hatte Raoden gehört, dass alle derethischen Priester in den berüchtigten Klöstern von Fjorden ausgebildet wurden, wo sie sich gnadenlosen Leibesübungen unterziehen mussten. Doch ihm war nicht klar gewesen, dass ein Gyorn mittleren Alters die dort erworbene körperliche Verfassung immer noch besitzen könnte.
Die beiden Barbaren, die sich noch bewegen konnten, krochen davon. Ihr Gefährte mit dem gebrochenen Genick blieb kläglich wimmernd an der Stelle liegen, an die der Gyorn ihn geschleudert hatte.
»Welch Verschwendung«, flüsterte Raoden. »Wir hätten diese Männer in NeuElantris gebrauchen können.«
»Ich wüsste nicht, was sich da machen ließe«, sagte Galladon kopfschüttelnd.
Raoden wandte sich in Richtung des Marktviertels von Elantris. »Ich schon«, meinte er entschlossen.
Sie drangen so schnell und direkt in Shaors Revier ein, dass sie beinahe die Bank erreicht hatten, bevor man auf sie aufmerksam wurde. Raoden reagierte nicht, als Shaors Männer zu heulen anfingen. Er ging energisch weiter, nur sein Ziel vor Augen. Begleitet wurde er von Galladon, Karata und Dashe - Karatas ehemaliger Stellvertreter war einer der wenigen erfahrenen Kämpfer, die noch in Raodens Lager übrig waren. Jeder von ihnen trug nervös einen Sack mittlerer Größe in den Armen.
Shaors Männer folgten ihnen und schnitten ihnen den Fluchtweg ab. Nach den Verlusten, die sie in den letzten Wochen erlitten hatten, konnten nur noch wenige Dutzend Männer von Shaors Bande übrig sein. Doch im Dunkel der Schatten wirkten diese wenigen, ständig dahinhuschenden Gestalten wie ein ganzes Heer.
Galladon warf Raoden einen besorgten Blick zu. Raoden ahnte, was er dachte. Ich hoffe im Namen der Doloken, dass du weißt, was du tust, Sule ...
Raoden biss fest die Zähne zusammen. Er hatte nur eine einzige Hoffnung: seinen Glauben an die rationale Natur der menschlichen Seele.
Shaor hatte sich im
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