Elantris
Stadt, die Selbstmord beging.
»Der Marktbezirk von Elantris«, sagte Galladon. »Das hier war früher einer der prachtvollsten Marktplätze auf der ganzen Welt. Händler kamen von überall aus Opelon her, um den Elantriern ihre exotischen Waren zu verkaufen. Man konnte auch herkommen, um besonders luxuriöse elantrische Zauber zu erwerben. Alles haben sie nicht umsonst weggegeben. Kolo?«
Sie standen auf einem Gebäude mit flachem Dach; anscheinend hatten manche Elantrier Flachdächer den Spitz- oder Kuppeldächern vorgezogen, weil sich auf den ebenen Flächen Dachgärten anlegen ließen. Vor den beiden Männern lag ein Bezirk der Stadt, der auch nicht anders als der Rest von Elan- Iris aussah: dunkel und im Verfall begriffen. Raoden konnte sich vorstellen, dass die Straßen einst mit den farbigen Segeltuchmarkisen von Straßenverkäufern geschmückt gewesen waren, doch nun legten nur noch ein paar schmutzbedeckte Lumpen davon Zeugnis ab.
»Können wir näher ran?«, fragte Raoden und lehnte sich über den Sims, um auf den Marktbezirk hinabzusehen.
»Kannst du machen, wenn du möchtest, Sule«, sagte Galladon abwägend. »Aber ich bleibe hier. Shaors Männer machen gern Jagd auf Fremde. Das ist wahrscheinlich der einzige Spaß, der ihnen geblieben ist.«
»Dann erzähl mir etwas über Shaor selbst.«
Galladon zuckte mit den Achseln. »An einem Ort wie diesem suchen viele nach einem Anführer - jemandem, der ein wenig das Chaos abwehrt. Wie in jeder anderen Gesellschaft führen auch hier meist die Stärksten das Kommando. Shaor hat Gefallen daran, andere zu kontrollieren, und aus irgendeinem Grund landen immer die wildesten und gewissenlosesten Elantrier bei ihm.«
»Und er bekommt die Opfergaben von einem Drittel der Neuankömmlinge?«, wollte Raoden wissen.
»Na ja, Shaor selbst kümmert sich nur selten um derlei Dinge; aber ja, seine Gefolgsleute haben den Vorrang bei einem Drittel der Opfergaben.«
»Wieso der Kompromiss?«, fragte Raoden. »Wenn Shaors Männer so unkontrollierbar sind, wie du angedeutet hast, was hat sie dann dazu gebracht, solch eine willkürliche Abmachung einzugehen?«
»Die anderen Banden sind genauso groß wie Shaors, Sule«, erklärte Galladon. »Draußen sind die meisten Menschen von unserer Unsterblichkeit überzeugt. Wir sind da realistischer. Man gewinnt fast nie eine Schlacht, ohne selbst ein paar Verletzungen davonzutragen, und hier können schon ein paar leichte Schnittwunden vernichtender und schmerzhafter sein als eine rasche Enthauptung. Shaors Männer sind wild, aber sie sind keine Narren. Sie lassen sich auf keinen Kampf ein, wenn sie nicht absolut in der Überzahl sind oder die Belohnung vielversprechend ist. Meinst du, es war deine Statur, die den Mann gestern davon abgehalten hat, dich anzugreifen?«
»Das weiß ich nicht genau«, gab Raoden zu.
»Selbst das kleinste Anzeichen, dass du dich zur Wehr setzen könntest, reicht schon aus, um diese Männer zu verscheuchen, Sule«, sagte Galladon. »Das Vergnügen, dich zu foltern, ist einfach nicht das Risiko wert, dass du einen Glückstreffer landen könntest.«
Hei dem Gedanken überlief Raoden ein Schauder. »Zeig mir, wo die anderen Banden leben.«
Die Universität und der Palast grenzten aneinander. Laut Gallailon herrschte zwischen Karata und Aanden ein sehr ungemütlicher Waffenstillstand, und auf beiden Seiten waren normalerweise Wachen postiert. Wieder führte Raodens Begleiter ihn zu einem Gebäude mit flachem Dach. Eine nicht sehr vertrauenserweckend aussehende Treppe führte nach oben.
Doch nachdem sie die Treppe emporgestiegen waren - und Raoden beinahe gestürzt wäre, als eine der Stufen unter ihm nachgab -, musste er zugeben, dass der Ausblick die Mühe wert gewesen war. Der Palast von Elantris war so gewaltig, dass er trotz des unvermeidlichen Zerfalls prachtvoll wirkte. Fünf Kuppeldächer krönten fünf Flügel, von denen jeder einen majestätischen Turm aufwies. Nur einer der Türme - der in der Mitte - war noch intakt, und er ragte hoch in die Luft empor und war bei Weitem das höchste Bauwerk, das Raoden je gesehen hatte.
»Es heißt, das sei genau die Mitte von Elantris«, sagte Gallailon, der in Richtung des Turmes nickte. »Früher konnte man die Treppenstufen erklimmen, die außen herumführen, und die gesamte Stadt überblicken. Heutzutage würde ich mich nicht hochwagen. Kolo?«
Die Universität war groß, aber weniger prachtvoll. Sie bestand aus fünf oder sechs langen, flachen Gebäuden und viel
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