Elantris
fragte Sarene verblüfft.
»Dein Onkel ist einer der besten Köche in der ganzen Stadt, Liebes«, sagte Daora.
»Onkel Kiin?«, wiederholte Sarene. »Kocht?«
Daora nickte, als handele es sich um etwas völlig Alltägliches. »Kiin ist weiter gereist als irgendwer sonst in Arelon, und von überallher hat er Rezepte mitgebracht. Soweit ich weiß, bereitet er heute Abend etwas zu, was er in Jindo gelernt hat.«
»bedeutet das, dass wir etwas zu essen bekommen?«, fragte Kaise spitz.
»Ich hasse indonesisches Essen«, beschwerte sich Daorn, dessen Stimme sich nur schwer von der seiner Schwester unterscheiden ließ. »Es ist zu scharf.«
»Du magst gar nichts, außer man hat eine Handvoll Zucker hineingemischt«, neckte Lukel seinen Halbbruder und zerzauste ihm das Haar.
»Daorn, lauf und hol Adien.«
»Noch einer?«, wollte Sarene wissen.
Daora nickte. »Der Letzte. Lukels leiblicher Bruder.«
»Wahrscheinlich schläft er«, sagte Kaise. »Adien schläft immer. Ich glaube, das kommt daher, dass sein Geist bloß halb wach ist.«
»Kaise, kleine Mädchen, die solche Sachen über ihre Brüder sagen, landen oft ohne Abendessen im Bett«, erklärte Daora Ihr. »Daorn, beweg dich!«
»Du siehst gar nicht wie eine Prinzessin aus«, stellte Kaise fest. Das Mädchen saß steif auf dem Stuhl neben Sarene. In dem Esszimmer herrschte eine heimelige Atmosphäre. Dank der dunklen Holztäfelung und den Andenken aus der Zeit, als Kiin um die Welt gereist war, wirkte es fast wie ein Arbeitszimmer.
»Wie meinst du das?«, fragte Sarene, die herauszubekommen versuchte, wie man die eigenartigen indonesischen Besteckteile handhabte. Es gab zwei: eines mit einem scharfen, spitzen Ende und eines mit einem flachen, schaufelartigen. Alle anderen aßen damit, als seien sie ihnen in die Wiege gelegt geworden, und Sarene war fest entschlossen, nicht nachzufragen. Entweder würde sie selbst daraufkommen, oder sie würde eben hungern müssen. Wahrscheinlich Letzteres.
»Also zum einen bist du viel zu groß«, sagte Kaise.
»Kaise«, warnte ihre Mutter in drohendem Tonfall.
»Aber es ist doch wahr. In allen Büchern steht, dass Prinzessinnen zierlich sind. Ich bin mir nicht völlig sicher, was zierlich bedeutet, aber ich glaube nicht, dass sie es ist.«
»Ich komme aus Teod«, sagte Sarene und spießte erfolgreich etwas auf, das nach einem Stück mariniertem Krabbenfleisch aussah. »Wir sind alle groß.«
»Vater stammt auch aus Teod, Kaise«, sagte Daorn. »Und du weißt ja selbst, wie groß er ist.«
»Aber Vater ist dick«, stellte Kaise fest. »Warum bist du nicht auch dick, Sarene?«
Kiin, der gerade durch die Flügeltür, die zur Küche führte, hereingekommen war, fuhr seiner Tochter im Vorbeigehen geistesabwesend mit der Unterseite eines Tabletts über den Kopf. »Hab ich's mir doch gedacht«, murmelte er und lauschte dem Scheppern des darauf befindlichen Metalltopfes. »Dein Kopf ist völlig hohl. Das erklärt vermutlich so einiges.«
Kaise rieb sich trotzig den Kopf, bevor sie sich wieder dem Essen widmete. »Ich finde trotzdem, dass Prinzessinnen kleiner sein sollten«, murmelte sie vor sich hin. »Außerdem haben Prinzessinnen angeblich gute Tischmanieren. Cousine Sarene hat aber die Hälfte ihres Essens auf den Boden fallen lassen. Wer hat je von einer Prinzessin gehört, die nicht weiß, wie man mit MaiPon-Stäbchen isst?«
Sarene senkte den Blick auf das fremdländische Besteck.
»Hör nicht auf sie, Ene«, lachte Kiin, während er ein weiteres aromatisch duftendes Gericht auf den Tisch stellte. »Das hier ist indonesisches Essen. Es wird mit so viel Fett zubereitet, dass etwas nicht stimmt, wenn die Hälfte davon nicht auf dem Boden landet. Mit der Zeit kriegst du den Dreh mit den Stäbchen schon noch raus.«
»Wenn du willst, kannst du einen Löffel benutzen«, schlug Daorn hilfreich vor. »Adien macht das auch immer.«
Sofort wanderte Sarenes Blick zu dem vierten Kind. Adien war ein schmalgesichtiger Junge, der noch keine Zwanzig war. Er hatte einen blässlich weißen Teint, und sein Gesicht hatte etwas Eigenartiges, Beunruhigendes. Er aß unbeholfen, mit steifen, unkontrollierten Bewegungen. Beim Essen murmelte er ständig etwas vor sich hin; er wiederholte Zahlen, soweit Sarene das mitbekam. Sarene war schon zuvor Leuten wie ihm begegnet, Kindern, deren Geist nicht völlig gesund war.
»Vater, das Essen ist köstlich«, sagte Lukel und lenkte die Aufmerksamkeit von seinem Bruder ab. »Ich glaube nicht, dass du dieses
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