Elantris
für den kleinen Jungen Raoden getan hatte - einen Jungen, der noch nicht gelernt hatte, dass Seonen als Freunde viel wertvoller waren denn als Diener.
Erkennt er mich wieder?, fragte Raoden sich, während das Seon in der Luft vor ihm leicht ins Schlingern geriet. Oder bloß die vertraute Geste?
Wahrscheinlich würde Raoden es nie herausfinden. Nachdem das Seon eine Sekunde über seiner Handfläche geschwebt hatte, verlor es das Interesse und glitt erneut davon.
»Ach, mein lieber Freund«, flüsterte Raoden. »Und ich habe gedacht, die Shaod habe mir übel mitgespielt.«
Kapitel 11
Nur fünf Männer kamen Kiins Einladung nach. Lukel quittierte das magere Ergebnis mit finsterer Miene. »Vor Raodens Tod erschienen gut und gern dreißig Männer zu den Treffen«, erklärte der gut aussehende Kaufmann. »Ich habe ja nicht damit gerechnet, dass sie uns alle die Tür einrennen, aber fünf? Das ist kaum der Mühe wert.«
»Es reicht, Sohn«, meinte Kiin nachdenklich und spähte durch die Küchentür. »Es mögen nur wenige sein, aber wir haben die Besten abbekommen. Das sind fünf der mächtigsten Männer im ganzen Land, mal ganz abgesehen davon, dass es fünf der intelligentesten sind. Raoden hatte ein Talent dazu, kluge Männer für seine Sache zu gewinnen.«
»Kiin, alter Brummbär!«, rief einer der Männer aus dem Esszimmer. Es war ein stattlicher Herr mit silbergrauen Strähnen im Haar, der eine schneidige Soldatenuniform trug. »Wirst du uns nun etwas zu essen vorsetzen oder nicht? Domi weiß, dass ich nur gekommen bin, weil man mir gesagt hat, dass du Ketathumbraten zubereiten würdest.«
»Das Schwein dreht sich längst am Spieß, Eondel!«, rief Kiin zurück. »Und ich habe nicht vergessen, dir eine doppelte Portion zu reservieren. Halte deinen Magen noch ein wenig im Zaum.«
Der Mann lachte herzlich und tätschelte sich den Bauch - der, soviel Sarene sehen konnte, so flach und hart war wie der eines viel jüngeren Mannes. »Wer ist das?«, erkundigte sie sich.
»Der Graf der Eonplantage«, sagte Kiin. »Lukel, geh und sieh nach dem Schweinefleisch, während deine Cousine und ich über unsere Gäste klatschen.«
»Ja, Vater.« Lukel griff nach dem Schürhaken und ging zu der riesigen Feuerstelle am hinteren Ende der Küche.
»Eondel ist der einzige Mann abgesehen von Raoden, bei dem ich je erlebt habe, wie er sich dem König widersetzt hat und damit durchgekommen ist«, erläuterte Kiin. »Er ist ein militärisches Genie, und ihm gehört eine kleine Privatarmee. Sie besteht aus nur zweihundert Mann, aber sie sind extrem gut ausgebildet.«
Als Nächstes deutete Kiin durch die Tür, die einen Spalt offen stand, auf einen Mann mit dunkelbrauner Haut und zarten Gesichtszügen. »Der Mann neben Eondel ist Baron Shuden.«
»Jindoesisch?«, fragte Sarene.
Ihr Onkel nickte. »Seine Familie hat sich vor etwa hundert Jahren in Arelon niedergelassen, und sie haben ein Vermögen angehäuft, weil sie für die jindoesischen Handelsrouten im ganzen Land verantwortlich sind. Als Iadon an die Macht kam, hat er ihnen eine Baronie angeboten, damit ihre Karawanen nicht ausblieben. Shudens Vater ist vor etwa fünf Jahren verstorben, und der Sohn ist viel traditionsbewusster, als der Vater es jemals gewesen ist. Er ist der Ansicht, dass Iadons Herrschaft dem Herzstück des Shu-Keseg widerspricht, weshalb er gewillt ist, sich mit uns zu treffen.«
Nachdenklich tippte sich Sarene mit dem Finger an die Wange und betrachtete Shuden. »Wenn sein Herz so jindoesisch wie seine Haut ist, Onkel, könnte er in der Tat ein mächtiger Verbündeter sein.«
»Genau das hat auch dein Ehemann gedacht«, sagte Kiin.
Sarene schürzte die Lippen. »Warum sprichst du immer von Raoden als von >meinem Ehemann Ich weiß, dass ich verheiratet bin. Du brauchst es nicht dauernd zu betonen.«
»Du weißt es«, sagte Kiin mit seiner tiefen Raspelstimme, »aber du glaubst es noch nicht.«
Entweder sah Kiin die Frage nicht, die sich in ihren Gesichtszügen widerspiegelte, oder er ignorierte sie einfach, denn er fuhr mit seinen Erklärungen fort, ohne sein soeben leichthin geäußertes Urteil näher zu erläutern.
»Neben Shuden sitzt Roial, Herzog der Ialplantage«, sagte Kiin mit einem Nicken in Richtung des ältesten Mannes in dem Zimmer. »Zu seinen Besitzungen gehört lald, eine Stadt, die in ihrem Reichtum einzig und allein Kae nachsteht. Er ist der mächtigste Mann in dem Raum und wahrscheinlich der klügste noch dazu. Allerdings hat er nur sehr ungern
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