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Elantris

Elantris

Titel: Elantris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Sanderson
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begleiteten seine vernichtenden Urteile mit lautem Geschrei.
    Hrathen beobachtete das Ganze mit Sorge und, wenn er ehrlich war, Eifersucht. Im Gegensatz zu Hrathen war Dilaf nicht in den besten Schulen des Ostens ausgebildet worden. Dennoch besaß der kleine Priester etwas, was Hrathen fehlte. Leidenschaft.
    Hrathen war immer ein kühler Verstandesmensch gewesen. Er war organisiert, umsichtig und hatte ein Auge fürs Detail. Früher hatten ihm deshalb entsprechende Seiten des Shu-Dereth das Priesteramt erstrebenswert erscheinen lassen: das geordnete, hierarchische Herrschaftsmodell zusammen mit der logischen Philosophie, auf der die Religion beruhte. Er hatte niemals Zweifel an der Kirche gehegt. Etwas, was derart perfekt durchorganisiert war, konnte gar nicht verkehrt sein.
    Trotz dieser Loyalität hatte Lirathen nie empfunden, was
Dilaf nun zum Ausdruck brachte. In Hrathen schlummerten keine Hassgefühle, die so stark waren, dass er weinte, keine Liebe, die so tief ging, dass er in ihrem Namen alles aufs Spiel setzen würde. Er hatte immer geglaubt, der ideale Jünger Jaddeths zu sein; dass sein Herr Vernunft dringender benötigte als ungezähmte Inbrunst. Jetzt geriet er jedoch ins Grübeln.
Dilaf besaß mehr Macht über dieses Publikum, als Hrathen je gehabt hatte. Dilafs Hass auf Elantris war nicht logisch - vielmehr war er irrational und wild -, aber das kümmerte die Leute nicht. Hrathen könnte Jahre damit verbringen, ihnen die Vorzüge des Shu-Dereth zu erklären, ohne je die Reaktionen zu ernten, die sie nun an den Tag legten. Ein Teil von ihm blieb spöttisch und versuchte sich selbst zu überzeugen, dass Dilafs Worte keinen bleibenden Eindruck hinterlassen würden, dass der leidenschaftliche Augenblick im Alltag untergehen würde - doch ein anderer, ehrlicherer Teil seiner selbst reagierte schlicht und einfach mit Neid. Was stimmte mit ihm nicht, dass er in den ganzen dreißig Jahren seines Dienstes in Jaddeths Reich noch kein einziges Mal so empfunden hatte, wie Dilaf jeden Moment zu fühlen schien?
Schließlich verstummte der Arteth. Noch eine gute Weile nach Dilafs Rede herrschte Schweigen in dem Raum. Dann flammten Gespräche auf, und auf dem Weg aus der Kapelle diskutierten die Leute aufgeregt miteinander. Dilaf taumelte von dem Podium und sackte in einer der vorderen Kirchenbänke zusammen.
»Gut gemacht«, erklang eine Stimme neben Hrathen. Herzog Telrii sah sich die Predigten von seiner privaten Loge an der Seite der Kapelle aus an. »Es war ein genialer Schachzug, den kleinen Mann nach Euch sprechen zu lassen, Hrathen. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, als mir auffiel, wie die Leute sich zu langweilen begannen. Der junge Priester hat erneut die Aufmerksamkeit aller gefesselt.«
Hrathen ließ sich den Ärger, weil Telrii ihn mit seinem Namen und nicht seinem Titel anredete, nicht anmerken. Zu einem späteren Zeitpunkt würde es Gelegenheit geben, etwas gegen diesen Mangel an Respekt zu unternehmen. Außerdem verkniff er sich eine Bemerkung bezüglich der angeblichen Langeweile des Publikums während seiner Predigt.
»Dilaf ist ein außergewöhnlicher junger Mann«, sagte Hrathen stattdessen. »Jedes Argument hat zwei Seiten, Lord Telrii: eine logische und eine leidenschaftliche. Wir müssen von beiden Seiten her angreifen, wenn wir siegen wollen.«
Telrii nickte.
»Nun, Mylord, habt Ihr meinen Vorschlag überdacht?«
Nach kurzem Zögern nickte Telrii abermals. »Die Sache ist verlockend, Hrathen. Sehr verlockend. Ich glaube nicht, dass es in ganz Arelon einen Mann gibt, der ein solches Angebot ausschlagen könnte. Ich schon gar nicht.«
»Gut. Ich werde Verbindung zu Fjorden aufnehmen. Wir sollten noch binnen dieser Woche loslegen können.«
Telrii nickte. Das Feuermal an seinem Hals sah im Schatten wie ein gewaltiger Bluterguss aus. Nach einem Wink in Richtung seiner zahlreichen Diener ging der Herzog auf die Seitentür der Kapelle zu und entschwand in die Dämmerung. Hrathen wartete ab, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, dann ging er zu Dilaf hinüber, der immer noch ausgestreckt auf der Bank lag.
»Das kam unerwartet, Arteth«, sagte er. »Du hättest es vorher mit mir absprechen sollen.«
»Es war nicht geplant, Mylord«, erklärte Dilaf. »Das Verlangen zu sprechen überkam mich ganz plötzlich. Es ist nur Euch zu Diensten geschehen, mein Hroden.«
»Natürlich«, meinte Hrathen unzufrieden. Telrii hatte recht: Dilafs Nachtrag war wertvoll gewesen. So sehr Hrathen den Artethen

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