Elantris
Gärten zu bewirtschaften.«
Karatas Augen waren vor Schreck weit aufgerissen. »Das hat bisher noch niemand versucht«, sagte sie verblüfft.
»Das habe ich mir schon gedacht. Dazu benötigt man Voraussicht, und die Bewohner von Elantris konzentrieren sich zu sehr auf ihren unmittelbaren Hunger, um sich Gedanken über das Morgen zu machen. Ich habe vor, das zu ändern.«
Karata ließ den Blick von dem kleinen Beutel zu Raodens Gesicht emporgleiten. »Erstaunlich«, murmelte sie.
»Nun kommt aber«, sagte Raoden, der den Beutel wieder verstaute und anschließend das gestohlene Schwert unter seinen Lumpen verbarg. »Wir sind beinahe am Tor.«
»Wie wollt Ihr uns wieder hineinbringen?«
»Seht mir einfach zu.«
Auf dem Weg blieb Karata neben einem dunklen Haus stehen.
»Was ist?«, erkundigte Raoden sich.
Karata deutete auf ein Fenster. Hinter der Scheibe lag ein Laib Brot.
Auf einmal spürte Raoden seinen eigenen Hunger als stechenden Schmerz in den Eingeweiden. Er konnte ihr keine Vorwürfe machen - selbst im Palast hatte er sich nach etwas umgesehen, was sie hätten mitgehen lassen können.
»Wir können es nicht nehmen, Karata«, sagte Raoden.
Karata seufzte. »Ich weiß. Es ist nur ... dass wir so nahe dran sind.«
»Sämtliche Geschäfte sind geschlossen, alle Häuser abgesperrt«, sagte Raoden. »Wir werden niemals etwas finden.«
Mit einem Nicken setzte Karata sich langsam wieder in Bewegung. Sie bogen um eine Ecke und näherten sich dem breiten Tor von Elantris. An einer Seite befand sich ein breites, niedriges Gebäude, aus dessen Fenstern Licht nach draußen strömte. Im Innern lümmelten sich etliche Wächter, deren braun-gelbe Uniformen der elantrischen Stadtwache im Lampenlicht hell leuchteten. Raoden trat an das Gebäude heran und klopfte an ein Fenster.
»Entschuldigung«, sagte er höflich, »aber würdet Ihr bitte die Freundlichkeit besitzen, das Tor zu öffnen?«
Die Wächter, die beim Kartenspielen gewesen waren, stießen erschrocken die Stühle zurück und schrien und fluchten, als sie Raodens elantrische Gesichtszüge erblickten.
»Macht schnell«, sagte Raoden lässig. »Ich werde langsam müde.«
»Was treibt Ihr hier draußen?«, fragte einer der Männer, allem Anschein nach ein Offizier, während seine Leute aus dem Gebäude strömten. Einige richteten ihre gefährlich aussehenden Speere auf Raodens Brust.
»Wir versuchen, wieder hineinzugelangen«, antwortete Raoden ungeduldig.
Einer der Wächter hob den Speer.
»Ich an Eurer Stelle würde das nicht tun«, sagte Raoden. »Außer Ihr möchtet erklären, wie es Euch gelungen ist, einen Elantrier außerhalb des Tores umzubringen. Ihr sollt dafür sorgen, dass wir drinnen bleiben. Von daher wäre es ziemlich peinlich, wenn man herausfände, dass wir direkt vor Euren Augen entkommen sind.«
»Wie ist Euch die Flucht gelungen?«, fragte der Offizier.
»Das erzähle ich Euch später«, sagte Raoden. »Jetzt solltet Ihr uns aber wahrscheinlich besser zurück in die Stadt stecken, bevor wir noch die gesamte Nachbarschaft wecken und eine Massenpanik auslösen. Ach ja, und kommt mir am besten nicht zu nahe. Schließlich ist die Shaod überaus ansteckend.«
Bei diesen Worten wichen die Wächter zurück. Elantris zu bewachen war eine Sache, einen sprechenden Leichnam vor sich zu haben eine völlig andere. Der Offizier befahl, das Tor zu öffnen, da er nicht wusste, was er sonst tun sollte.
»Danke, mein Guter«, sagte Raoden mit einem Lächeln. »Ihr leistet fabelhafte Arbeit. Wir sollten uns ernsthaft überlegen, ob wir Euch nicht eine Gehaltserhöhung angedeihen lassen.« Damit bot Raoden Karata den Arm und schlenderte zwischen den Torflügeln hindurch nach Elantris, als seien die Soldaten seine persönlichen Butler und keine Gefängniswärter.
Karata konnte ein Kichern nicht unterdrücken, als sich das Tor hinter ihnen schloss. »Aus Eurem Mund klang es, als wollten wir hier drin sein. Als sei es ein Privileg!«
»Und genau so sollten wir es empfinden. Wenn wir schon in Elantris eingesperrt sind, können wir ebenso gut so tun, als sei es der herrlichste Ort auf der ganzen Welt.«
Karata lächelte. »In Euch steckt ein gewisser trotziger Widerstandsgeist. Das gefällt mir.«
»Adel bekommt man nicht nur vererbt, er ist ebenso eine Haltung. Wenn wir so tun, als sei es ein Segen, hier zu leben, dann vergessen wir vielleicht mit der Zeit, für wie erbärmlich wir uns halten. Nun, Karata. Ich möchte, dass Ihr ein paar Dinge für mich tut.«
Sie zog eine
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