Elantris
Braue empor.
»Sagt niemandem, wer ich bin. Ich möchte Loyalität in Elantris, die auf Respekt beruht, nicht auf meinem Titel.«
»In Ordnung.«
»Zweitens: Erzählt niemandem von dem Fluchtweg in die Stadt mithilfe des Flusses.«
»Warum nicht?«
»Es ist zu gefährlich«, sagte Raoden. »Ich kenne meinen Vater. Wenn die Wächter zu viele Elantrier in der Stadt aufgabeln, wird er herkommen und uns vernichten. Elantris kann nur Fortschritte machen, wenn es nicht auf fremde Hilfe angewiesen ist. Wir können es nicht riskieren, immer wieder in die Stadt zu schleichen, um uns mit Nahrungsmitteln zu versorgen.«
Nachdem Karata ihm zugehört hatte, nickte sie zustimmend. »In Ordnung.« Dann hielt sie einen Moment nachdenklich inne. »Prinz Raoden, es gibt da etwas, was ich Euch zeigen möchte.«
Die Kinder waren glücklich. Die meisten schliefen zwar, doch ein paar waren wach und spielten lachend miteinander. Natürlich hatten sie alle keine Haare und wiesen die Symptome der Shaod auf. Doch das schien ihnen nichts auszumachen.
»Hier stecken sie also alle«, stellte Raoden fasziniert fest.
Karata führte ihn weiter in den Raum, der sich tief im Innern des Palasts von Elantris befand. Einst hatte dieses Gebäude die Regierenden beherbergt, die von den elantrischen Ältesten gewählt worden waren. Jetzt verbarg sich darin ein Spielzimmer für Kleinkinder.
Etliche Männer standen herum und passten auf die Kinder auf. Sie beäugten Raoden argwöhnisch. Karata wandte sich zu ihm um. »Bei meiner Ankunft in Elantris habe ich die Kinder in den Schatten zusammengekauert sitzen sehen, voller Angst vor allem, was vorüberging. Da musste ich an meine eigene kleine Opais denken. Etwas in meinem Herzen verheilte, als ich angefangen habe, mich ihrer anzunehmen. Ich habe sie um mich gesammelt, habe ihnen ein bisschen Liebe geschenkt, und seitdem hängen sie an mir. Sämtliche Männer und Frauen, die Ihr hier seht, haben draußen ein Kind zurückgelassen.«
Karata hielt inne und streichelte einem kleinen elantrischen Kind zärtlich über den Kopf. »Die Kinder einen uns und halten uns davon ab, uns von den Schmerzen übermannen zu lassen. Das Essen, das wir sammeln, ist für sie. Irgendwie werden wir ein bisschen besser mit dem Hunger fertig, wenn wir wissen, dass er zum Teil daher rührt, dass wir das, was wir hatten, den Kindern gegeben haben.«
»Ich hätte niemals gedacht...«, setzte Raoden leise an, während er zwei Mädchen zusah, die fröhlich miteinander spielten.
»Dass sie glücklich sein könnten?«, beendete Karata den Satz. Sie winkte Raoden, ihr zu folgen, und sie bewegten sich aus der Hörweite der Kinder. »Wir begreifen es auch nicht, mein Prinz. Sie scheinen besser mit dem Hunger umgehen zu können als wir Übrigen.«
»Es ist überraschend, wie unverwüstlich der kindliche Geist ist«, sagte Raoden.
»Sie scheinen sogar einen gewissen Grad an Schmerzen aushalten zu können«, fuhr Karata fort. »Prellungen, blaue Flecken und dergleichen. Letzten Endes brechen sie aber zusammen, wie alle anderen auch. Eben noch ist ein Kind glücklich und verspielt, im nächsten Augenblick fällt es aber einmal zu oft hin oder bekommt eine Wunde zu viel ab, und sein Geist macht nicht mehr mit. Ich habe ein weiteres Zimmer, weit weg von den Kleinen hier, in dem sich Dutzende Kinder befinden, die den ganzen Tag nichts tun, als vor sich hin zu wimmern.«
Raoden nickte. Dem fügte er hinzu: »Warum zeigt Ihr mir all dies?«
Karata zögerte. »Weil ich mich mit Euch zusammentun möchte. Einst habe ich Eurem Vater gedient trotz der Meinung, die ich von ihm hatte. Jetzt werde ich seinem Sohn wegen der Meinung dienen, die ich von ihm habe. Werdet Ihr meine Loyalität annehmen?«
»Es ist mir eine Ehre, Karata.«
Sie nickte und drehte sich mit einem Seufzen wieder den Kindern zu. »Ich mache es nicht mehr lang, Lord Raoden«, flüsterte sie. »Mich hat die Sorge umgetrieben, was mit meinen Kindern passieren würde, wenn ich einmal verloren sein sollte. Dieser Traum von Euch, diese verrückte Vorstellung von einem Elantris, in dem wir unsere eigene Nahrung anbauen und nicht auf unsere Schmerzen achten ... Ich möchte sehen, wie Ihr versucht, diese Welt zu erschaffen. Zwar glaube ich nicht, dass es Euch gelingen wird, aber ich bin der Ansicht, dass Ihr im Verlauf dieses Prozesses etwas Besseres aus uns machen werdet.«
»Danke«, sagte Raoden, dem aufging, dass er soeben eine gewaltige Verantwortung auf sich geladen hatte. Karata lebte nun
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