Elben Drachen Schatten
durchsegeln. Ich kann Euch nur davon abraten, diese Gewässer aufzusuchen.«
»Die Pflicht zwingt mich dazu«, entgegnete Keandir.
»Euer Kapitän wird dort irgendwo sein Ende gefunden haben. Sie sind streitlustig, diese Rhagar – und ehe man sich versieht, schlagen sie einem den Schädel ein.«
»Aber uns verehren sie als ihre Götter«, sagte Keandir. »Sie werden sich hüten, uns anzugreifen.«
»Darauf würde ich mich nicht verlassen«, riet König Setabus. »Sie halten keine Verträge ein, sind wankelmütig und ändern oft überraschend ihre Entschlüsse. Ich wüsste nicht, weshalb dies nicht auch für ihre religiösen Bekenntnisse gelten sollte.« Setabus beugte sich ein Stück vor und fuhr in gedämpftem Tonfall fort: »Und sie sind grausam. Ich selbst kämpfte gegen sie im Norden von Perea. Unsere Kolonisten dort, die noch zu Zeiten meines Großvaters so großen Wert auf ihre Unabhängigkeit legten, haben sich vor einem Jahrzehnt freiwillig meiner Herrschaft unterworfen.«
»Ah, daher Euer neuer Titel: König von Tagora und Perea«, sagte Keandir.
»Alle Tagoräer müssen in Zeiten wie diesen zusammenhalten. Die Rhagar bedrohen uns überall.«
Keandir und seine Getreuen blieben einige Wochen in Danabar. Zusammen mit seinem Sohn Magolas schlenderte der Elbenkönig über den Markt und sah dem bunten Treiben zu. Keandir bemerkte dabei die begehrlichen Blicke, die Magolas den jungen Menschenfrauen zuwarf und wie er ihr Lachen erwiderte.
»Du solltest an eine derartige Verbindung nicht einmal denken, Magolas«, sagte der Elbenkönig zu seinem Sohn.
»Es sind Tagoräerinnen und keine Rhagar-Frauen«, verteidigte sich Magolas. »Aber selbst wenn es so wäre – sind Schönheit und Anmut nicht immer bewundernswert, unabhängig von der Herkunft? Ist der Zauber nicht immer der Gleiche?«
»Das mag sein«, gab Keandir zu. »Ich wollte dir mit meinem Rat nur unnötigen Schmerz ersparen.«
»Schmerz?«, echote Magolas. »Sie sind so voller Leben! Ihre funkelnden Augen, die selbstbewusste Anmut ihrer Bewegungen …«
Magolas fühlte sich offenbar angezogen von dem Temperament der Tagoräerinnen, das im Vergleich zur vornehmen Kultiviertheit der Elbinnen geradezu ungezügelt erschien.
»Das Lachen und die Anmut dieser Tagoräerinnen vergehen innerhalb einer Zeitspanne, die für dich nur ein längerer Augenblick ist«, erklärte Keandir seinem Sohn. »Es lohnt nicht der Mühe, sich bei einer von ihnen auch nur den Namen zu merken, so schnell verlassen sie die sterbliche Welt.«
Magolas seufzte. »Da habt Ihr schon recht, Vater. Aber andererseits entwickeln sich Gefühle manchmal von allein, ohne dass man dagegen etwas tun kann.«
»In diesem Fall wäre das Objekt des Gefühls bereits lange von den Würmern gefressen und verwest, ehe du dir über sein Vorhandensein wirklich klar geworden bist.«
Doch auch Keandir genoss zunächst das bunte Treiben in Danabar sowie die zuvorkommende Gastfreundschaft des tagoräischen Königs. Und er machte interessante Beobachtungen. Es faszinierte ihn beispielsweise, wie viel Glück ein Tagoräer innerhalb seiner doch sehr begrenzten Lebensspanne empfinden konnte. Eine Spanne, die so kurz war, dass mancher Elb, hätte er nur noch ein Menschenalter lang zu leben, sie wahrscheinlich vor Todesangst mit nichts Sinnvollem oder Glück Verheißendem mehr hätte ausfüllen können. Den Menschen aber genossen ihr Leben trotz seiner Kürze und Beschränktheit. Und diese Beschränktheit bestand nicht nur im zeitlichen Sinne. Es handelte sich vor allem auch um eine Beschränktheit der Sinne. Sie hörten schlecht, sahen nicht besonders gut, und ein Geruchssinn war so gut wie nicht vorhanden.
Drei Mal fragt Kapitän Garanthor seinen König, wann man denn nun endlich weitersegeln würde, aber ganz gegen seine sonstige Art zeigte sich Keandir diesmal als jemand, der wahrlich in der Elbentradition stand und die Zeit so reichlich verschwendete, wie sie vorhanden war. Eine Reihe berauschender Feste fanden am Hof des tagoräischen Königs statt, und Keandir fand Gefallen daran.
Doch dann bemerkte er, dass sein Sohn Magolas immer wieder die Gesellschaft einer dunkelhaarigen Tagoräerin suchte, die offenbar Teil des Hofstaats war. Gelrond der Sprachkundige hatte nicht so recht herausbekommen können, ob sie dem unteren Adel angehörte und als Hofdame diente oder ob sie weitläufig mit dem Adelshaus des Königs von Tagoras und Perea verwandt war. Keandir wusste von ihr nur, dass Magolas viel
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