Elben Drachen Schatten
Entscheidung ist getroffen, auch wenn sie dir nicht gefallen mag, mein Sohn.«
»Aber …«
Keandir trat auf Magolas zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sollte mir etwas zustoßen, dann bist du König der Elben. Und dann wirst du entscheiden können, was zu tun ist.«
»Es stünde mir frei, die Magie der Zauberstäbe zu nutzen?«
Die beiden Elben sahen sich eine Weile lang an. Vielleicht suchte jeder von ihnen die Finsternis in den Augen des anderen.
Keandir zuckte schließlich mit den Schultern. »Die Toten sollten den Lebenden niemals Vorschriften machen, mein Sohn. Und wenn ich irgendwann nach Eldrana eingehe, werde ich mich an diesen Vorsatz halten, dessen kannst du sicher sein.«
In der Nacht vor dem Aufbruch schlief Ruwen sehr unruhig und erwachte wieder aus düsteren Träumen.
Keandir bemerkte dies, denn er lag wach neben ihr.
»Du kannst auch nicht schlafen, Kean?«
»Mein Kopf ist voller Gedanken.«
»Kean, du müsstest nicht in die Schlacht ziehen. Das könntest du Prinz Sandrilas überlassen. Er ist schließlich der Befehlshaber des Elbenheers.«
Keandir lächelte. »Aber ich bin der König. Und wie könnte ich von meinen Kriegern erwarten, dass sie in die Schlacht ziehen, wenn ich nicht bereit wäre, an ihrer Spitze zu reiten?«
Ruwen stand auf. Im fahlen Mondlicht, das durch das Fenster des königlichen Schlafgemachs fiel, schritt ihre grazile Gestalt zu einer Truhe. Sie öffnete sie und kehrte dann zu Keandir zurück, um ihn einen kleinen Lederbeutel zu geben, den man an einer Kordel um den Hals tragen konnte.
»Was ist das?«, fragte Keandir.
»Die Elbensteine«, sagte sie, und ihre Stimme war dabei kaum lauter als ein Windhauch.
»Das Symbol des Elbentums«, flüsterte Keandir. Die Steine waren in der Halle des Gedenkens aufbewahrt worden, seit man sie zuletzt bei der Tagung des Kronrats am Strand von Elbenhaven präsentiert hatte, als Brass Elimbor die Jenseitigen beschwor.
»Wenn der König in die Schlacht reitet, soll er sie über seinem Herzen tragen«, sagte Ruwen. »Ich habe mit Brass Shelian gesprochen, bevor er in den Süden aufbrach, um Andir zu unterstützen. Von ihm stammt der Vorschlag. Eigentlich hat er mir aufgetragen, dir die Steine im Schlaf auf die Brust zu legen – und zwar auf keinen Fall vor Morgengrauen.« Sie lächelte. »Aber der Morgen graut bald, und du findest wahrscheinlich ohnehin keinen Schlaf mehr.« Sie legte ihm die Kordel um den Hals. Die Steine lagen auf seiner Brust und fühlten sich warm an.
»Sie sind das Symbol unserer Verbindung zu den Jenseitigen«, sagte Keandir ergriffen. »Ich kann das nicht tun. Wenn sie verloren gehen …«
»Brass Elimbor ist Brass Shelian im Traum erschienen und hat es gutgeheißen«, erwiderte Ruwen. »Davon abgesehen wird es unseren Kriegern Zuversicht geben, wenn sie wissen, dass ihr König die Elbensteine bei sich trägt. Und dich werden sie schützen, geliebter Kean. Dich und alle, die bei dir sind …«
Als der Morgen graute, fand Keandir doch noch wenige Stunden Schlaf, und auch ihm erschien Brass Elimbor als verklärte Lichtgestalt eines Eldran im Traum. Er sprach zum König, und schon aus dem sanften Klang seiner Stimme schöpfte Keandir neuen Mut.
»Haben die Jenseitigen nicht ihr Interesse von uns abgewandt?«, fragte der Elbenkönig im Traum.
»Nicht alle«, antwortete Brass Elimbor. »Ich jedenfalls werde unsichtbar an deiner Seite sein, wenn ihr in die Schlacht zieht, um das Reich der Elben zu verteidigen.«
Als er am Morgen erwachte, leuchteten die Elbensteine durch den Lederbeutel hindurch. Ein Leuchten, das nicht nachließ und in dem sich die unerschütterliche Zuversicht Brass Elimbors zu manifestieren schien.
Am nächsten Morgen brach Keandir an Bord der »Tharnawn« in den Süden auf. Eine große Flotte folgte dem Flaggschiff. Die Meisten dieser Schiffe waren erst nach der Ankunft im Zwischenland gebaut worden, aber auch einige Veteranen der großen Seereise durch das zeitlose Nebelmeer befanden sich in der Flotte, so zum Beispiel die »Morantor« von Kapitän Isidorn. Der Herzog von Nordbergen war mit seinem Schiff bereits vor einer Woche in Elbenhaven eingetroffen, um sich an der Verteidigung des Elbenreichs zu beteiligen.
Kapitän Ithrondyr, der davon geträumt hatte, in der unvollendeten Stadt Edanor ein eigenes Herzogtum zu errichten, wie er später zugab, hatte das Kommando über eines der neuen Elbenschiffe erhalten. Er nannte es »Edanor«, denn dieser Name sollte ihn immer
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