Elbenschswert
Rings um diese gewaltige Tafel waren Dutzende
von Stühlen aufgestellt, jeder einzelne so schwer und reich
verziert mit Schnitzereien und kostbarem Stoff, dass er in
einem auch nur etwas kleineren Königreich einen guten
Thron abgegeben hätte, und, soweit er das auf den ersten
Blick erkennen konnte, alle vollkommen identisch; selbst
den von Artus eingeschlossen.
Artus stand auf, klatschte in die Hände und alle Gespräche im Raum und das gedämpfte Klirren und die Essgeräusche verstummten. Er ließ noch einmal eine Minute
verstreichen, in der nicht nur er, sondern auch alle anderen
Lancelot anstarrten, dann lachte er leise und fragte: »Nun,
mein Freund, ist mir die Überraschung gelungen?«
»Das … das ist …«, murmelte Lancelot hilflos, verstummte wieder und hob schließlich nur die Schultern.
»Ihr habt gefragt, ob ich den Streit um die Plätze an dieser Tafel beigelegt habe, und ich habe Euch geantwortet«,
sagte Artus mit einem Lächeln voll Schadenfreude. Er
widerstand der Versuchung, dabei in Mandrakes Richtung
zu blicken, aber natürlich war Lancelot klar, wem diese
Worte wirklich galten. »Ich habe über das nachgedacht,
was geschehen ist«, fuhr Artus fort. »Ich war im Unrecht.
Es ist der Geist dieses Tisches, dass es an ihm keinen König und keine Untertanen gibt und jedermann das Recht
hat, frei zu sprechen und seine Gedanken und Zweifel zu
äußern, ohne Furcht vor Bestrafung haben zu müssen. Es
war mein Fehler, dass ich angefangen habe dies zu vergessen. Damit das nie wieder geschieht, habe ich diese Tafel
bauen lassen.« Er unterstrich seine Worte mit einer dramatischen Geste. »Sie ist rund. Sie hat weder Anfang noch
Ende, keinen Platz für einen Herrscher, noch Plätze für
Beherrschte. Sucht Euch einen freien Stuhl und setzt Euch,
Sir Lancelot. Aber gewöhnt Euch nicht zu sehr an ihn – es
gibt auch keine Stammplätze hier.«
Lancelot nickte, rührte sich aber nicht von der Stelle.
Unter anderen Umständen hätten Artus’ Worte vermutlich
beeindruckend gewirkt und seine Würde als König noch
unterstrichen. Aber in diesem Augenblick, eingedenk dessen, was er im Hof gesehen und was er in den letzten Tagen und Wochen erlebt hatte, kamen sie ihm einfach lächerlich vor. Außerdem argwöhnte er, dass Artus diesen
Tisch zu einem gut Teil aus dem einfachen Grund hatte
anfertigen lassen, weil er es leid war, sich ständig
schmerzhaft das Knie an irgendeiner Kante zu stoßen.
Lancelot ging zögernd weiter, ließ sich auf den erstbesten freien Stuhl sinken und bemerkte erst dann, dass er
unmittelbar gegenüber von Sir Mandrake Platz genommen
hatte, der ihn mit gerunzelter Stirn und feindselig über den
großen Tisch hinweg anstarrte.
»Ach ja, noch etwas«, fügte Artus hinzu, dem die Reaktion des Tafelritters keineswegs entgangen war. » Eine Regel gibt es an dieser Tafel doch: Ich gestatte keinen
Streit. Wer einen solchen vom Zaun bricht, der wird damit
bestraft, in den Weinkeller hinunterzugehen und für alle
Anwesenden einen Krug Wein zu holen.«
Diese Bemerkung wurde mit allgemeinem Gelächter
quittiert und auch Lancelot zwang seine Lippen zu einem
Lächeln. Nur Sir Mandrakes Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Auch der feindselige Blick blieb und schließlich war es Lancelot, der das stumme Duell aufgab und
sich zu Artus herumdrehte.
»Eine weise Entscheidung«, sagte er, wobei er ganz bewusst offen ließ, was er damit meinte. Er fühlte sich mit
jedem Moment unwohler. Bisher hatte er gedacht, es läge
an den veränderten Umständen und allenfalls an der
Feindseligkeit, die Sir Mandrake ausstrahlte, aber das
konnte nicht alles sein. Er fühlte mit jedem Atemzug deutlicher, dass etwas wie ein unausgesprochenes Unheil in
der Luft lag. Die gelöste Stimmung, das Lachen, die
Scherze und der große Appetit, mit dem die Gäste dem
Essen zusprachen, das alles war aufgesetzt und falsch.
»So greift doch zu, mein Freund«, sagte Artus mit einer
entsprechenden Geste. »Der Küchenmeister hat sich wirklich große Mühe gegeben, dieses Mahl zuzubereiten. Und
ich glaube, nur Euretwegen.«
Lancelot war tatsächlich hungrig. Bisher war er viel zu
aufgewühlt gewesen, um darauf zu achten, aber nun verlangte sein Körper mit Macht sein Recht. Die nächste
Viertelstunde beschäftigte er sich kaum mit etwas anderem als mit Brot, Fleisch, Gemüse und Obst, bis er das
Gefühl hatte, beim nächsten Bissen platzen zu müssen,
und sich mit einem hörbaren Seufzer des
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