Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
einem Abroller abgefangen und erneut in Position gebracht.
»Das war unfair«, spuckte sie voller Verachtung.
»Keine Regeln«, erwiderte Svenya. »Deine Worte.«
Die nächste Attacke folgte auf dem Fuße. Wieder sprang Svenya zur Seite – aber damit hatte Yrr wohl gerechnet, denn ihr Angriff war nur eine Finte. Sie bremste den Vorwärtsschwung mit Leichtigkeit, wirbelte auf dem Fußballen herum und traf Svenya mit dem anderen Fuß, den sie blitzschnell nach oben riss, voll gegen die Brust. Diesmal war es Svenya, die zu Boden ging, aber auch sie rollte sich katzenhaft schnell nach hinten ab und sprang wieder auf die Beine, ehe Yrr den Fall ausnutzen konnte.
Diese Taktik war nun ausgereizt, das war Svenya klar, deswegen musste eine neue her. So langsam und ohne zu tänzeln, als würde sie spazierengehen, ging Svenya auf Yrr zu. Die war von dem unorthodoxen Angriff so überrascht, dass sie gar nicht recht wusste, wie sie reagieren sollte, außer in eine defensive Boxerposition zu gehen, die Fäuste hochzunehmen und den Kopf zwischen die Schultern zu ziehen.
Svenya trat ihr gegen das Schienbein – nicht einmal fest. Wie ein Mädchen auf dem Schulhof.
Yrr ließ die Fäuste sinken, starrte sie verblüfft an. »Kämpf richtig!«, schrie sie wütend.
Das war der Moment, in dem Svenya ansatzlos mit beiden Fäusten abwechselnd zuschlug. Yrr war so perplex, dass sie die eigenen Hände nicht mehr dazwischenbekam, um die beiden Schläge abzufangen, und Svenyas Hiebe trafen sie schnell hintereinander an Schläfe und Jochbein. Den Schwung des letzten Schlages nutzte Svenya aus, um sich davon im Halbkreis drehen zu lassen und mit dem anderen Ellbogen gleich von Yrrs Seite her zuzuhauen. Auch dieser Treffer ging voll gegen die Schläfe, und Yrr sackten kurz die Beine weg. Doch wenn Svenya geglaubt hatte, jetzt ein leichtes Spiel mit ihr zu haben, hatte sie sich getäuscht. Gerade wollte sie ihr das Knie gegen die Stirn rammen, um sie in die Bewusstlosigkeit zu schicken, da packte Yrr sie am Oberschenkel und riss sie zu sich herunter auf den Boden. Yrr war zu benommen, um klar zu agieren, deswegen wälzte sie sich hastig auf Svenya und begann blind mit den Fäusten auf sie einzuschlagen. Svenya nahm die Unterarme schützend vors Gesicht und bäumte sich auf. Doch es gelang ihr nicht ganz, Yrr abzuwerfen. Die wiederum packte sie an den Haaren und schlug ihr die Reißzähne in die nackte Schulter. Svenya schrie auf vor Schmerz und griff nach Yrrs Ohren, um sie daran von sich wegzuziehen. Als das nicht gleich klappte, drehte sie daran, und Yrr heulte auf wie ein getretener Hund. Dabei kamen ihre Zähne los, und Svenya gelang es, sich so herumzuwälzen, dass jetzt sie halb oben lag. Aber nur für einen kurzen Moment, in dem sie vergeblich versuchte, Yrr am Hals zu packen.
Die zwei rollten fauchend und schreiend über das Stroh der Zelle. Ein außenstehender Beobachter hätte kaum für möglich gehalten, dass es sich bei den beiden um zivilisierte Wesen handelte, denn sie kämpften mittlerweile wie Tiere miteinander.
Yrr rammte Svenya das Knie in den Bauch und stieß sie von sich fort, um aufzuspringen. Doch auch Svenya kam auf die Füße – allerdings einen Moment zu spät. Yrr sprang hinter sie und warf ihr einen Arm um den Hals, packte das eigene Handgelenk mit der anderen Hand und drückte unerbittlich zu. Svenya versuchte, nach hinten zu greifen und zu treten, doch Yrr wich geschickt aus. Jetzt bekam Svenya es doch mit der Angst zu tun – nicht mit der Angst vor Verletzungen oder einer Niederlage … sondern mit der Angst, die Chance zu vertun, wieder auf freien Fuß zu gelangen. Sie schrie röchelnd auf und packte mit beiden Händen Yrrs Handgelenke. Dann spannte sie jeden Muskel an, den sie im Leib hatte, und mit einer gewaltigen Kraftanstrengung riss sie Yrrs Arm von ihrem Hals weg.
Yrr wehrte sich wie wild dagegen, aber Svenya hatte, wie sie jetzt merkte, tatsächlich mehr Kraft als die Tochter Hagens, und ihr war, als würde ihre Kraft mit dieser Erkenntnis von Sekunde zu Sekunde zunehmen. Yrr brüllte hinter ihr verzweifelt und ungläubig auf, als sie wehrlos mit ansehen musste, wie Svenya sich Zentimeter um Zentimeter mehr aus dem Klammergriff befreite. Das war ihr wohl noch nie passiert. Zornig trat sie Svenya von hinten in die Kniekehlen, doch Svenyas Beine gaben kein Stück nach; sie stand fest wie ein Fels. Immer weiter löste sie den Schwitzkasten – und dann drehte sie sich wirbelnd herum, ohne dabei
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