Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
Leviathan. Damit würde sie sich rehabilitieren vor ihrem Volk …
… und vor allem vor ihrem Vater.
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Svenyas Fingerkuppen waren blutig vom Wegkratzen der Runen. Obwohl es hier unten empfindlich kühl war, schwitzte sie vor Anstrengung, und das Haar klebte ihr schmutzig vom Staub der Zelle an Stirn und Gesicht. Wenigstens tat inzwischen das Atmen nicht mehr weh – ihre Rippen schienen geheilt, aber der Durst war noch schlimmer geworden. Sie kämpfte weiterhin gegen Bilder von sprudelnden Quellen und Krügen mit schäumendem Met … und gegen den perversen Drang, sich mit ihren scharfen Eckzähnen selbst die Pulsadern aufzubeißen, um ihr eigenes Blut zu trinken … als einzige Flüssigkeit, die ihr zur Verfügung stand. Der Gedanke war so abartig wie verlockend.
Da hörte sie plötzlich Geräusche draußen vor der Tür … dann das Rasseln von Schlüsseln. Svenya wich zurück in die von der Tür am weitesten entfernte Ecke der Kammer und machte sich zum Angriff bereit … so bereit man sich machen konnte, wenn man nackt war und ohne jede Waffe. Sie war entschlossen, ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Niemand sprang so mit ihr um und kam ungeschoren davon.
Niemand – außer vielleicht jemand, der ihr die Mündung einer entsicherten SIG Sauer P226 entgegenhielt wie jetzt Yrr, die gerade mit finsterer Miene die Zelle betrat.
»Bleib, wo du bist«, warnte Hagens Tochter.
»Was willst du von mir?«, fragte Svenya. »Ich verlange sofort deinen Vater zu sprechen. Macht mir den Prozess, wenn ihr euch im Recht glaubt, mich daran zu hindern, mein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Verurteilt mich, wenn ihr so vermessen seid, euch als Richter aufzuspielen über das Leben und die Entscheidungen anderer. Richtet mich hin, wenn ihr denkt, ein Henker dürfe freier töten als ein Mörder. Aber behandelt mich gefälligst nicht wie einen räudigen Köter, indem ihr mich hier unten verrotten lasst, ohne mich wenigstens angehört zu haben.«
»Oh, du wirst deinen Prozess schon noch bekommen«, sagte Yrr kühl. »Aber erst, wenn ich mit dir fertig bin.«
»Mit mir fertig? Was willst du damit sagen? Willst du dich an einer Wehrlosen vergreifen? So, wie du es schon die ganze Zeit im Training getan hast? Bereitet es dir so große Freude, mich zu demütigen?«
»Ich? Dich demütigen?«, fragte Yrr. Svenya wunderte sich, worüber sie so aufgebracht war. » Ich bin doch diejenige, die gedemütigt wurde. Eine Namenlose wie du, von der niemand weiß, wer sie ist und warum Alberich allen befohlen hat, sie wie eine Prinzessin zu behandeln, vertreibt mich von meinem Posten. Mich, die ich wesentlich fähiger bin! Und dann fühlst du dich gedemütigt?! Ich werde dir gleich zeigen, wie es sich anfühlt, wirklich gedemütigt zu werden.«
Svenya breitete erschöpft die Arme aus. »Na los, bring es hinter dich! Zeig, was für eine tolle Kriegerin du bist … indem du mich in voller Rüstung und bis an die Zähne bewaffnet zu Brei schlägst.«
Die eigene Haut so teuer verkaufen zu wollen wie möglich, ist eine Sache – in einen aussichtslosen Kampf auch noch mit Hoffnung zu gehen, gleich eine ganz andere.
»Nein«, sagte Yrr. »Ich werde nicht unfair kämpfen – so wie du bei deiner Flucht, als du die Tarnung gegen mich benutzt hast. Alle Welt soll wissen, dass ich dich bei gleichen Chancen bezwungen habe.«
Zu Svenyas Überraschung begann Yrr mit der freien Hand die Schnallen ihrer Rüstung zu lösen.
»Was hast du vor?«, fragte sie.
»Ich ziehe mich aus«, erwiderte Yrr. »Und dann kämpfen wir. Mano-a-mano. Ganz ohne Rüstungen, ganz ohne Waffen.«
»Du bist doch wahnsinnig!«
»Wage es nicht, mich zu verspotten! Ich werde beweisen, dass du nicht nur feige bist, sondern auch schwach. Oder dass du feige bist, weil du schwach bist.« Stück für Stück legte sie ihre Rüstung ab.
»Ich werde nicht gegen dich kämpfen, Yrr.«
»Doch, du wirst.«
»Was habe ich davon? Noch mehr Schmerzen? Verprügle mich einfach und bring es endlich hinter dich.«
»Ich werde dich nicht verprügeln. Du wirst dich wehren«, forderte Yrr. »Sonst ist es kein Kampf.«
»Dann ist es eben keiner«, gab Svenya zurück.
Yrr hatte den letzten Teil ihrer Unterkleidung ausgezogen und stand nun ebenso nackt da wie Svenya – nur dass sie noch ihre Pistole in der Hand hielt. Sie schaute Svenya irritiert an. »Du hast den Leviathan bezwungen, und gegen mich willst du dich nicht einmal wehren?«
»Du willst mich nicht
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