Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
von einem Orakel, das verpflichtet war, die Wahrheit zu sagen.
»Welche Gründe?«, fragte sie, ohne sich zu Oegis umzublicken.
»Weiß du, auf Hagen lastet ein Fluch«, begann er. »Nicht ein Fluch, wie er auf dir lastet. Nichts, was jemand ihm auferlegt hätte – außer vielleicht er sich selbst. Nennen wir es vielleicht besser Pech. Durch Verstrickungen des Schicksals – oder vielleicht auch durch mangelnde innere Flexibilität, wer weiß das schon? – hat Bruder Einauge es in der Vergangenheit immer wieder geschafft, gerade das zu zerstören, was er am meisten liebte. Immer. Zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk – auch wenn die früher mal besser waren als heute. Er hat ein Händchen dafür, unser Hagen. Vielleicht liegt es daran, dass er nicht begreift, dass zu viele Loyalitäten zu vielen gegenüber einander früher oder später immer in die Quere kommen. Irgendwas – und in Hagens Fall irgendwer – bleibt dabei immer auf der Strecke. Das ist kosmische Mathematik, aber die zu verstehen oder zu akzeptieren, weigert er sich. Man munkelt sogar, dass er irgendwann einmal verantwortlich sein wird für den Untergang Elbenthals, weil er es so sehr liebt. Deshalb versucht er, nicht mehr zu lieben, und verschließt sich ganz besonders da, wo er große Zuneigung empfindet. Also, nicht wundern über seine Bärbeißigkeit. In den meisten Fällen ist sie nur Ausdruck seiner unterdrückten wahren Gefühle.«
Das erklärte einiges, erkannte Svenya.
»Natürlich nährt das jetzt dein Mitgefühl«, fuhr der Drache fort. »Deine Instinkte, vielleicht auch deine romantischen Vorstellungen wecken in dir das Bedürfnis, diejenige zu sein, die diesen Teufelskreis aufbricht, und deine Liebe über sein Schicksal siegen zu lassen.«
Svenya fühlte sich ertappt.
»Aber«, sagte Oegis mit einem Augenzwinkern, das bewies, dass er wusste, dass er sie durchschaut hatte, »am Ende dieses Pfades liegt die totale Selbstaufgabe – die Selbstzerstörung –, und damit erfüllt sich dann ein Fluch, der nie einer war. Auch das ist kosmische Mathematik.«
»Von Liebe verstehst du noch weniger als von Freundschaft«, sagte Svenya ruppig.
»Ach ja? Du bist darin wahrscheinlich eine Expertin mit deinen weitreichenden Erfahrungen«, erwiderte er spöttisch. »Mit all den Charlies dieser Welt, die dich begrabscht und gegen deinen Willen gefickt haben, ohne dass du dich wehren konntest. Was in dir lebt von dem, was du für Liebe hältst, ist in Wahrheit nichts weiter als eine verträumte Sehnsucht, geboren aus Einsamkeit und Verzweiflung. Eine Hoffnung, die dich, in den Stunden unter schwitzig stinkenden Leibern, nur scheinbar davor bewahrt hat, den Verstand zu verlieren. Denn an das zu glauben, woran du glaubst, bedeutet, den Verstand schon lange verloren zu haben. Sagen wir, wie es ist: Du ignorierst die knallharte Wirklichkeit und lebst eine Illusion. Denke an meine Worte: Wenn dich die aktuelle Prophezeiung nicht ereilt, wird es deine Liebe zu Hagen sein, die dich in den Abgrund zieht.«
»Ja, ja«, sagte Svenya lakonisch und ging davon. »Und wenn nicht die, dann du. Schon klar. Hab ein schönes Leben in deinem Kerker, Drache. Und wenn du das nächste Mal eine Prophezeiung über mich empfängst, mach dir nicht die Mühe, mich zu rufen. Behalt sie einfach für dich. Denn mein Schicksal ist das, was ich daraus mache.«
Oegis lachte. »Jetzt, Hüterin, jetzt hast du es verstanden.«
Svenya hatte keine Ahnung, was er damit nun schon wieder meinte, entschied sich aber, es zumindest nach außen hin zu ignorieren und diesen unheiligen Ort und seinen zerstörerischen Bewohner zu verlassen.
Aber seine Worte nagten in ihr wie eine hungrige Ratte.
52
Obwohl Svenya sich vorgenommen hatte, sich die Warnung des Drachen nicht allzu nahegehen zu lassen, fiel es ihr schwer, den Fortgang des Festes ihr zu Ehren zu genießen. Alberich hatte tief in die Trickkiste gegriffen, um mit zahlreichen Darbietungen für Kurzweil zu sorgen: Es gab einen Tanz von winzigen Feuer-Elementaren, die wie kleine Gargoyles aus Flammen aussahen und zu wild getrommelten Rhythmen schnell wie der Wind zwischen den Bäumen und Gästen hin und her stoben und wirbelten. Yrrs weibliche Elbengarde hatte ein Ballett der Klingen vorbereitet: Leicht bekleidet, verwoben sie in ihrer ungestümen und doch grazilen Choreografie urige Kraft mit magischer Eleganz, während ihre im Takt der Musik aufeinanderprasselnden Klingen Funken sprühten.
Weniger kämpferisch
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