Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
zurückkehren würden, als ihre alte Heimat überhaupt nie wiederzusehen. Nein, Svenya, meine Warnung ist deutlicher: In deinem Fall ist der Verräter jemand aus dem Kreis derer, denen du vertraust.«
Svenya dachte sofort an Nanna. »Wie alt ist diese Prophezeiung?«
»Ein paar Stunden.«
Damit kam Nanna noch in Frage. Svenya hatte sie erst vor weniger als einer Stunde aus dem Kreis ihrer Vertrauten verbannt.
»Und der Verrat besteht darin, dass mich diese Person zu töten versucht?«
»Du hast nicht richtig zugehört«, schnaubte der Drache ungehalten. »Ein anderer wird versuchen, dich zu töten.«
»Also irgendjemand?«
»Nein. Nicht irgendjemand. Ebenfalls jemand aus dem Kreis derer, die du Freunde oder Vertraute nennst. Und das sind bis jetzt noch nicht sehr viele, wie ich schätze.«
»Mehr als ich jemals zuvor hatte«, sagte Svenya leise vor sich hin, und als ihr bewusst wurde, dass der Drache sie hören konnte, hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Er war der Letzte, vor dem sie Schwäche zeigen wollte.
»Umso schlimmer, nicht wahr?«, fragte Oegis. »Von Feinden angegriffen zu werden, ist eine Sache. Aber dagegen ist man meistens gewappnet. Diejenigen, die einen letztendlich zu Fall bringen, sind die Feinde im Innern, die, die sich Freunde nennen.«
»Du weißt überhaupt nicht, was das Wort Freund bedeutet«, raunte Svenya. Seine Botschaft hatte sie tiefer getroffen, als sie zulassen wollte.
»Ist das etwa mein Fehler? Hagen fing mich, da war ich noch ein Kind. Wer weiß, wie die Dinge gekommen wären, hätte ich ein normales Leben leben können.«
Svenya lachte spöttisch. »Klar, mit Kumpels und Freunden beim Stammtisch oder beim Sport. Drachen sind ja sehr bekannt für ihre Geselligkeit. Echte Partykracher sozusagen.«
»Keine Freunde zu haben, heißt nicht, sich nicht nach welchen zu sehnen.« Oegis klang überraschenderweise verletzt.
»Dann sollte man vielleicht nicht jeden, den man neu kennenlernt, begrüßen mit Uah, ich werde dich töten!«
Der Drache schmunzelte. »Sieh zu, dass du meine Warnung ernst nimmst, Hüterin, und dass du die Bedrohung überlebst. Dann werden wir beide in Gesprächen wie diesem noch viel Spaß miteinander haben.«
»Das ist ein Spaß, auf den ich gut verzichten kann. Und da du nicht mehr über die Prophezeiung sagen kannst, endet er auch jetzt und hier.« Mit diesen Worten ging Svenya davon. Dann aber drehte sie sich noch einmal um. »Ach, übrigens, weil du mir angedroht hast, mich töten zu wollen – lass mich den Gefallen erwidern: Du bist damit in meinen Augen nicht länger unschuldig und eine Bedrohung. Wenn du also hier ausbrichst und Elbenthal oder Alberich angreifst, werde ich persönlich dir das Herz aus dem verfluchten Leib reißen.«
»Hört, hört, wer da von ›verflucht‹ spricht«, spottete Oegis. »Die Frau ohne Vergangenheit. Soviel Bravado, nur weil du einen winzigen Leviathan besiegt hast?« Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, und seine Augen funkelten amüsiert-böse zu ihr herab. »Du glaubst wirklich, du könntest es mit mir aufnehmen?«
Svenya erwiderte seinen Blick »Ich habe inzwischen gelernt: Was ich glaube zu können und was ich kann, wenn ich es muss, sind zwei völlig verschiedene Dinge. Also, noch einmal: Wenn ich es muss, werde ich keine Sekunde zögern, dir den Garaus zu machen.«
»Den Garaus zu machen«, echote er. »Wie schön altertümlich das klingt.«
»Was willst du damit sagen?«
»Nichts. Nur dass du dich schon gut angepasst hast an dieses Volk. Schade nur, dass es bald aussterben wird.«
»Das sagt ausgerechnet der Letzte der Drachen.«
»Ach … wie läuft es eigentlich zwischen dir und Hagen?«, fragte Oegis so unvermittelt, dass Svenyas Mund vor Erstaunen offen stand.
»Was meinst du?«
»Tu nicht so«, sagte er. »Die ganze Welt kann sehen, was da zwischen euch ist. Er ist ein schwieriger Geselle, nicht wahr?«
»Das geht dich einen Scheiß an.«
Aber Oegis ließ nicht locker. »Lass mich raten: Du fühlst dich zu ihm hingezogen, aber dann ist er plötzlich wieder so kühl und ernst, dass du von ihm abprallst wie von einer Wand aus Eis.«
»Leb wohl, Drache.« Svenya wandte sich wieder zum Gehen.
»Es ist nicht deine Schuld, musst du wissen. Er hat seine Gründe«, fuhr Oegis unbeirrt fort, und Svenya schaffte es nicht, einen Fuß nach vorne zu setzen. Zu sehr war sie interessiert, was der Drache zu sagen hatte. Hier war die Chance, mehr über Hagen zu erfahren –
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