Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
Verbindungen Hurdhs ausgehändigt, und so wählte Svenya den Sockel der Festung als Zielort. Von dort unten aus rannten sie zum Kerker des Drachen. Svenya sah, dass die nach innen gerichteten Geschütze an den Schutzmauern doppelt besetzt waren und gerade feuerbereit gemacht wurden. Jetzt erreichten sie die innere Halle, wo eine ganze Hundertschaft Elbenkrieger in vier Reihen im Halbkreis um das schwere Gittertor stand – ihre Waffen im Anschlag. Es roch nach verbrannter Luft. Offenbar war auch Drachenfeuer zum Einsatz gekommen.
»Ist jemand verletzt?«, fragte Hagen den befehlshabenden Offizier.
Der schüttelte den Kopf. »Nichts Ernsthaftes. Ein paar Brandblasen und leichtere Verbrennungen.«
»Was ist passiert?«
»Er hat verlangt, die Hüterin zu sprechen«, antwortete der Krieger. »Als es ihm verweigert wurde, ist er völlig außer sich geraten. Wir konnten ihn weder beruhigen noch einschüchtern. Aber jetzt ist er still und liegt erschöpft am Boden.«
»Mein Vater hat ihn betäubt«, sagte Hagen zu Svenya. »Aber die Wirkung wird von Mal zu Mal schwächer.«
»Dieses Mal hat er nicht einmal das Bewusstsein verloren«, sagte der Offizier.
»Und schon bald wird es mich nicht einmal mehr schwächen«, drang nun die tiefe Stimme des Drachen zu ihnen nach draußen. Er klang müde – aber auch amüsiert. »Wir hätten uns alle viel Mühe sparen können, wenn man meinem Wunsch, die Hüterin für ein paar Minuten zu sprechen, gleich nachgekommen wäre.«
»Du wagst es, diese heilige Nacht zu stören?«, knurrte Hagen und trat an das Gitter heran.
»Hier unten sind für mich alle Nächte gleich«, antwortete der Drache. »Wie auch die Tage. Einer so langweilig wie der andere.«
»Dann hättest du ebensogut bis morgen warten können.«
»Nein«, erwiderte Oegis und kam aus dem Dunkel nach vorne gekrochen. Man sah ihm seine Benommenheit an. »Im Interesse der Hüterin konnte ich das nicht.«
»In meinem Interesse?«, fragte Svenya.
»Ich habe eine Botschaft für dich«, sagte der Drache. Seine Lider waren schwer, aber die Echsenaugen darunter funkelten wachsam. »Eine Prophezeiung. Genauer gesagt, eine Warnung.«
Svenya stutzte. »Welchen Grund solltest denn ausgerechnet du haben, mich vor etwas warnen zu wollen?«, fragte sie skeptisch.
»Das ist eine gute Frage«, antwortete Oegis. »Im Kern betrachtet, sogar eine sehr philosophische. Aber in diesem Fall ist sie leicht beantwortet.«
»Nämlich?«
»Nun ja, ich habe gehört, du warst bereit, mein Leben zu verschonen.«
»Es war nie wirklich in Gefahr.«
»Aber das wusstest du nicht, Svenya«, sagte der Drache nachdenklich. »Du glaubtest, du hättest den Auftrag, mich zu töten, aber das wolltest du nicht, weil du mich für unschuldig hältst. Du warst sogar bereit, das alles hier aufzugeben, nur damit ich leben kann.«
»Nicht damit du leben kannst, Oegis«, widersprach Svenya. »Sondern damit ich nicht diejenige sein muss, die dich tötet. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.«
»Nicht für mich«, stellte er klar. »Zum einen natürlich, weil es mein Leben ist, um das es hier ging. Zum anderen aber, und das ist noch sehr viel wichtiger, war mein Recht auf Leben dir wichtiger als dein eigenes Recht auf ein Zuhause. Dafür schulde ich dir etwas. Und Oegis, der Sohn des Fafnir, zahlt immer seine Schulden.« Er wandte den großen Kopf zu Hagen und wiederholte leise und drohend: »Immer.«
»Du schuldest mir nichts«, sagte Svenya. »Ich hätte bei jedem anderen genauso reagiert.«
»Das spielt, wie gesagt, keine Rolle«, grollte Oegis. »Mir ist es wichtig, dass ich dir, wenn wir einander einmal auf dem Schlachtfeld begegnen werden – und die Chancen, dass das geschieht, wachsen mit mir und meiner Kraft –, nichts mehr schuldig bin, damit der Kampf ein fairer wird.«
»Du würdest niemals fair kämpfen«, sagte Svenya schlicht.
Er lachte leise auf. »Das ist wohl wahr.«
»Siehst du.«
»Dann lass es mich anders formulieren«, sagte der Drache. »Ich will vermeiden, dass ich mich dir in einem solchen Falle noch irgendwie verpflichtet fühlen würde, um so unfair kämpfen zu können, wie ich nur kann.«
»Dann wäre es das Beste, mich erst gar nicht zu warnen und darauf zu bauen, dass, welches Missgeschick auch immer du vorausgesehen haben willst, mich vernichtet und ich am Tage deiner Befreiung erst gar nicht mehr gegen dich antreten kann.«
»Und mir damit die Chance entgehen zu lassen, dich selbst zu vernichten?«, fragte
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