Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
zu sein. Nach den Ereignissen der letzten Tage konnte sie das verstehen. Sie selbst war zwar nicht versklavt, aber auch sie hatte ihre absolute Freiheit eingetauscht gegen ein Zuhause … und Macht … und eine Aufgabe.
»Deshalb unterstützt er Laurin«, sagte sie nachdenklich. »Um durch ihn nach Alfheim zurückkehren zu können. Ich nehme an, er stand auch hinter Tapio und dessen Anschlag auf mich?«
»Nein. Die beiden wussten nicht, dass sie dem gleichen Herrn dienten. Laurin spielt nicht mit offenen Karten. Das erhält ihm ein Höchstmaß an Kontrolle.«
»Aber Raegnir hätte schon viel früher zugeschlagen, wenn Nanna nicht gewesen wäre«, vermutete Svenya.
»Ja, das stimmt. Um einiges früher. Was für ein Glücksfall, dass Hagen ihn damit betraut hatte, Vorkoster für dich zu bestimmen. Er hätte einem davon ein Gegengift geben können, das ihn deine Nahrung unbeschadet hätte kosten lassen, und du wärst ausgeschaltet und leicht zu entführen gewesen, denn niemand kennt die geheimen Wege Elbenthals so gut wie Raegnir, um uns hinein- und auch wieder hinauszuschleusen. Aber da kam Nanna dazwischen und ihr Faible für dich. Jedes Essen, jeden Trunk hat sie persönlich zubereitet und dir gebracht.«
Je mehr er erzählte, desto mehr erfuhr Svenya über die Hintergründe ihrer Entführung – aber das war nicht der einzige Grund, warum sie Gerulf dazu brachte, so viel zu reden. Mit jeder Sekunde, die verstrich, kehrte das Leben in ihre Muskeln und Gelenke zurück. Vielleicht würde er einen Fehler machen, der es ihr ermöglichte, zu entkommen.
»Raegnir scheint in diesem Spiel aber nicht der Einzige zu sein, dessen Loyalitäten, sagen wir einmal, im besten Falle fragwürdig sind, oder?«
Gerulf hob die linke seiner dunklen buschigen Augenbrauen. »Was meinst du damit?«
»Nun ja«, sagte Svenya. »Ich kenne mich noch nicht so gut aus, aber das hier scheint mir nicht Aarhain zu sein.«
»Nein, ist es nicht«, räumte er ein. »Es ist einer meiner eher privaten Unterschlüpfe hier in Dresden.«
»Hat Laurin angeordnet, dass du mich hierher bringst?«
»Nein.«
»Das dachte ich mir«, sagte Svenya. »Du hattest bestimmt Anweisung, mich direkt zu ihm zu bringen.«
Der Mannwolf schmunzelte finster.
»Dann hast du deine ganz eigenen Pläne mit mir.« Der Gedanke jagte Svenya angesichts der Folterinstrumente, die einiges über die Natur des Mannwolfes aussagten, Angst ein.
»Nein«, antwortete Gerulf, und sie atmete innerlich erleichtert auf. »Laurin würde mich, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, hinrichten, wenn ich dir auch nur ein Haar krümme.«
»Und warum lieferst du mich dann nicht direkt ab, wie befohlen?«
»Sagen wir, ich will mit Laurin in Gehaltsverhandlungen treten.« Gerulf schenkte sich einen Whiskey ein und nippte an dem Glas. »Du bist mein Hebel, mit dem ich ihn davon überzeugen will, mich innerhalb seiner Armee zu befördern. Ich habe die Schnauze voll davon, immer nur das Einsatzkommando zu leiten und andauernd derjenige zu sein, der als Erster die Kastanien aus dem Feuer holt.«
»Wenn Laurin dich töten würde, wenn du mir auch nur ein Haar krümmst, warum sollte er sich dann von dir erpressen lassen?«
»Erpressen ist ein zu hartes Wort«, gab Gerulf zurück. »Ich schlage ihm lediglich, ehe ich dich übergebe, vor, mich zu befördern. Er weiß dann, dass ich mit meiner jetzigen Position unzufrieden bin und was genau ich mir wünsche, um wieder zufriedener zu werden. Er weiß dann auch, dass es mit dir in meinem Besitz unklug wäre, mich noch unzufriedener zu machen – möglicherweise sogar so unzufrieden, dass es mir egal ist, ob er mich tötet, wenn ich vielleicht eine Dummheit mit dir anstelle. Also wird er mir eine neue Position anbieten und kann sich im Gegenzug darauf verlassen, dass ich dich aus Dankbarkeit heraus heil und gesund bei ihm abliefere.«
»Das ist Erpressung.«
»Wir in Aarhain nennen das Verhandlungsgeschick«, sagte Gerulf. »Laurin belohnt nie von sich aus. Aber er belohnt die, die es verstehen, für sich zu fordern, was ihnen zusteht. Damit unterscheidet er sich von keinem Arbeitgeber dieser Welt.«
»Für mich klingt das wie Piraterei.«
»Piraten, Unternehmer, Fürsten, Halsabschneider … wo ist da der Unterschied?«
Svenya überlegte einen Moment. Dann erwiderte sie mit einer Gegenfrage: »Ist dir bewusst, dass ich zu den reichsten Frauen der Welt gehöre oder vielleicht sogar die reichste von ihnen bin?«
»Aah«, sagte Gerulf
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