Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
sagte Gerulf knapp.
»Womit soll ich ihn oder sie instruieren?«
»Gar nicht«, antwortete nun wieder Laurin. »Wenn die Zeit reif ist, übernehme ich das selbst.«
»Aber …«
»Danke, Johann. Du kannst dich wieder zurückziehen.«
»Natürlich, Majestät. Natürlich.« Der Geheimrat verbeugte sich wieder und verließ eilig die Halle.
Lau’Ley schmunzelte. Sie vergötterte ihren Schwarzen Prinzen dafür, dass er immer ein Ass im Ärmel hatte.
21
Elbenthal
In den Tagen nach Hagens Vortrag gab sich Svenya noch mehr Mühe. Sie horchte sogar in sich hinein, um herauszufinden, wo sie denn nun versteckt war, diese unglaubliche Macht, von der Hagen gesprochen hatte. Weniger vielleicht, weil sie das Schicksal, das ihr laut Hagen zuteil war, als das ihre begrüßt und akzeptiert hatte, sondern vielmehr, weil es außer diesem Schicksal kein anderes für sie gab. Sie kam von der Straße, nein, sogar aus der Gosse, und alles war besser als dorthin zurückzukehren – auch ganz ohne die Bedrohung durch Laurin. Allerdings wäre sie glücklicher gewesen, wenn sie hier in Elbenthal einfach nur Küchenhilfe bei Nanna hätte sein können – sie wäre auch mit einem kleinen Kämmerchen in der Festung zufrieden gewesen, denn was wollte sie schon mit einem riesigen Palast, in dem sie sich fehl am Platz vorkam? Was sollte sie mit Kleidern, die sie ohnehin nirgends anziehen und vorführen konnte? Und mit Gold, das sie nirgends ausgeben konnte? Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte man Yrr ruhig den Job als Hüterin geben können. Svenya war nicht nur nicht scharf darauf – sie fühlte sich ihm auch bei weitem nicht gewachsen. Und genau das war das Problem – zumindest, wenn man Hagen Glauben schenken wollte: ihr ewiges Zweifeln an sich selbst. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er sie angelogen hatte, als er von ihren Kräften sprach, aber ebenso wenig konnte Svenya sich vorstellen, dass sie sie tatsächlich besaß. In jeder freien Minute ging sie in ihren Dojo, um alleine zu trainieren. Doch obwohl sie natürlich merkte, dass sie viel stärker war, als sie als Mensch gewesen war, war sie doch weit davon entfernt, auch nur annähernd so stark zu sein wie Yrr und ihre Kameradinnen oder Wargo in seiner Mannwolfform.
Im Ausweichtraining wurde sie nach wie vor von einer ihrer drei Gegnerinnen zu Boden geworfen, ehe Raik auch nur einen einzigen Blitz schleudern musste; im Schwertkampf gegen Yrr musste sie mit jedem Tag, den Yrrs Hand weiter heilte, mehr einstecken; und der Geschichtsunterricht bei Raik und die Strategievorträge Raegnirs waren auch nach ihrer Unterredung mit Hagen keinen Deut spannender geworden.
»Ihr denkt zu viel, Eure Hoheit«, sagte Nanna eines Abends zu ihr, nachdem der von Raegnir bestellte Vorkoster seine Arbeit getan und sich aus dem Schlafzimmer, in dem Svenya Nacht für Nacht ihren letzten kleinen Imbiss zu sich nahm, zurückgezogen hatte. Svenya hockte mit angezogenen Knien in einem der großen Sessel, die kleine Platte mit Nannas Delikatessen auf der breiten Lehne. Nanna hatte sich auf das Sofa gegenüber gekuschelt und trank eine heiße Schokolade. »Es ist wie mit dem Kochen.«
»Wie mit dem Kochen?«
»Ja«, sagte Nanna. »Die meisten Menschen kochen nach Rezept. Und weil man die alle unmöglich auswendig lernen kann, gibt es Kochbücher. Andere, so wie ich, kochen ganz nach Gefühl … benutzen ihre Fantasie. Meine Rezepte schreibe ich nur auf, damit die Mannschaft sie auch nachkochen kann, sobald ich sie einmal erfunden habe.«
»Ich verstehe den Vergleich nicht.«
Nanna lächelte. »Die meisten Elben und auch die Menschen glauben, dass man irgendein Grundwissen braucht, um darauf aufbauend Fantasie entwickeln zu können, und dass man erst dann auf Basis des Grundwissens und der Fantasie beim Umsetzen Erfahrungen sammelt.«
»Aber das ist doch auch richtig«, sagte Svenya und schob sich ein Bällchen aus in Sesam gewälztem Frischkäse in den Mund.
»Richtig schon – aber eben nicht ausschließlich richtig. Ohne Fantasie hätte es überhaupt erst niemals ein Grundwissen gegeben, versteht Ihr?«
»Hm«, machte Svenya mit vollem Mund. Sie sah, worauf Nanna hinauswollte.
»Hüterin von Midgard wird man nicht, ebenso wenig wie Leiterin einer Palastküche, indem man nur tut, was einem gesagt wird, oder indem man nur wiederholt, was einen gelehrt wird. Man muss vielmehr tun, was einem das Herz sagt … was die Instinkte einem sagen … man muss also das tun, woran man
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