Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
Laurin die Stellung mühelos halten kann, ohne Verluste befürchten zu müssen, obwohl seine Streitmacht zahlenmäßig noch nicht einmal ein Viertel der unseren ist. Wir jedoch würden bluten bei dem Versuch, die Festung zu stürmen. Der Tod eines Einzelnen kann eine ehrenvolle Sache sein, je nachdem, wofür man stirbt, aber der Tod vieler für eine schon im Vorfeld zum Scheitern verurteilte Sache ist es ganz bestimmt nicht. Aber wie gesagt: Sowenig wie wir Laurins Festung erobern können, sowenig kann er Elbenthal erobern, und abgesehen von gelegentlichen Scharmützeln halten sich die Kräfte so die Waage.«
»Verstehe«, sagte Svenya. »Und mit jedem Eindringling, der durch das Tor kommt, erhöht sich die Zahl seiner Männer. Aber wenn es doch immer nur Einzelne sind …«
»In Menschenaltern gerechnet mag es sich nicht dramatisch anhören, wenn auch nur einer im Jahr davon aus der Festung zu Laurin gelangt«, unterbrach Hagen ihren Gedankengang, »aber wenn du in Jahrhunderten rechnest, sieht die Sache ganz schnell ganz anders aus. Außerdem hat die Zeit gezeigt, dass viele derer, denen es gelingt, hierher durchzubrechen, Boten Schwarzalfheims sind – mit Nachrichten für ihren Schwarzen Prinzen. Mit Plänen, die versuchen, Angriffe aus Alfheim und Aarhain zu koordinieren, um uns von beiden Seiten aus gleichzeitig in die Zange zu nehmen. Sollte ihnen das gelingen, sind wir verloren … und als Nächstes sind dann die Menschen von Midgard an der Reihe. Mit ihrem technischen Fortschritt mögen sie inzwischen zwar eine Bedrohung für uns wenige Lichtelben darstellen, aber gegen ganze Armeen aus Schwarzalfheim haben die Menschen nicht die Spur einer Chance. Laurin und seine Leute werden sie zu Millionen abschlachten und die Überlebenden versklaven. Das zu verhindern, ist deine Aufgabe … dein Schicksal.«
Svenya sah ihn mit großen Augen an. »Und ich soll die Macht dazu haben?«
Statt direkt zu antworten, kam Hagen auf sie zu und fasste sie an beiden Schultern. Svenya musste zu ihm aufsehen wie zu einem Berg und fühlte sich plötzlich noch hilfloser und ohnmächtiger als zuvor. »Erinnerst du dich daran, dass ich Raik befohlen habe, dich zu töten, ehe du Laurin in die Hände fällst?«, fragte Hagen, und seine tiefe Stimme kroch ihr förmlich unter die Haut.
»Wie sollte ich das vergessen?«
»Das habe ich nicht nur getan, weil wir dich brauchen, sondern auch weil es unseren Untergang bedeuten würde, wenn es ihm gelänge, dich der Folter und einer Gehirnwäsche zu unterziehen und damit zu einer der Seinen zu machen.« Er sah Svenya ernst an. »Er will dich gerade, weil deine Macht so groß ist. Und er weiß das. Deswegen hat er dir an dem Geburtstag zu deiner Volljährigkeit auch aufgelauert.« Er ließ sie wieder los und ging ein paar Schritte davon, ehe er sich wieder zu ihr umdrehte. »Du siehst: Wir alle wissen, wie mächtig du bist, nur du weißt es nicht … und willst es auch nicht glauben. Deshalb schneidest du beim Training so schlecht ab.«
»Aber ich darf natürlich nicht fragen, wieso meine Macht so groß ist.«
»Nein, das darfst du nicht«, sagte er und klang traurig dabei. »Ich wünschte, es wäre anders. Aber der Fluch ist die Quelle deiner Macht. Sozusagen der Preis, den du dafür bezahlst.«
»Und was soll jetzt geschehen?«
»Das liegt ganz allein bei dir.«
Nachdem Svenya den Raum verlassen hatte, trat Alberich durch eine verborgene Tür in der Wand herein. Sein Blick war bekümmert.
»Meinst du, sie hat es jetzt verstanden?«, fragte er Hagen.
»Ich hoffe es«, antwortete der und schenkte sich den Pokal noch einmal voll. »Ich hoffe es sehr.«
»Und wenn nicht?«
»Sie wird es schaffen, vertraut mir, Vater.«
»Dir vertraue ich, Sohn.« Auch Alberich schenkte sich von dem Met ein. »Es ist Svenya, um die ich mir Sorgen mache. Inzwischen ernsthafte Sorgen.«
»Sie steht erst am Anfang. Wenn sie erst einmal erkennt, wie stark sie wirklich ist, wird sich alles ändern.«
Hagen sah seinen Sohn nachdenklich an. »Vielleicht sollten wir ihr offenbaren, was für sie auf dem Spiel steht, wenn sie es nicht erkennt … wenn sie den Test nicht besteht.«
»Noch nicht«, sagte Hagen entschlossen und leerte seinen Pokal in einem Zug. »Noch nicht.«
20
Aarhain
Lau’Ley saß auf einem kleinen Berg von Kissen in der Ecke des spartanisch eingerichteten Raumes. Ihre Laune war bestens, um nicht zu sagen vom Feinsten – wie immer, wenn sie ihrem Schwarzen Prinzen beim
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