Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
kompensieren. Sie tauschte sie gegen die in ihrem Holster. Falls Laurins Häscher sie ausfindig machten, ehe sie untergetaucht war, wollte sie sich wenigstens zur Wehr setzen können – auch wenn Svenya sich keine großen Chancen ausrechnete, in einem Kampf gegen sie zu bestehen.
In einen zweiten Rucksack packte sie einige wenige praktische Klamotten: Jeans, Pulli, Jacke, Unterwäsche und feste Schuhe. Sie seufzte, als sie merkte, dass sie wieder einmal ihre Schuhe danach aussuchen musste, dass sie möglichst lange hielten und man gut darin rennen konnte. Nein, dachte sie bitter. Mein Schicksal ist nicht das einer Heldin … oder einer Killerin … oder Henkerin … mein Schicksal ist es, heimatlos zu sein und ewig auf der Flucht . So war es, seit sie denken konnte, und so würde es, wie sie jetzt realisierte, wohl immer sein. Wobei es ihr schwerfiel, sich immer und ein unsterbliches Leben auf der Flucht überhaupt vorzustellen und was das bedeutete: Weder Hagen noch Laurin würden jemals aufhören, nach ihr zu suchen …, und früher oder später würde sie entweder der eine oder der andere finden. Aber darüber und wie sie sich darauf vorbereiten konnte, würde sie später nachdenken – jetzt musste alle ihre Konzentration darauf gerichtet sein, erst einmal von hier wegzukommen.
Ein Schritt nach dem anderen .
Sie überprüfte noch einmal, ob sie alles hatte: Geld, Pässe, Klamotten, Waffen. Sie hatte sogar einiges von dem Essen eingepackt, das Nanna ihr gebracht hatte – nur für den Fall.
Dass ausgerechnet Yrr heute Nacht Wachdienst hatte, würde die Sache nicht eben leichter machen – Svenya hatte sogar überlegt, ihre Flucht zu verschieben. Andererseits kannte sie sich gut genug und wusste, dass sie nicht der Typ mit dem Pokerface war. Wenn sie auch nur noch einen Tag länger bliebe, würde Hagen ihr an den Augen ablesen können, dass sie vorhatte abzuhauen, und er würde die Sicherheitsvorkehrungen noch weiter verstärken, als sie es ohnehin schon waren.
Svenya versteckte den Rucksack in einem Kleiderschrank und rief dann nach Yrr.
»Was kann ich für Euch tun, Eure Hoheit?«, fragte Hagens Tochter, als sie den Raum betrat. Ihr kalter Blick strafte ihre freundlichen Worte wie immer Lügen.
»Die Luft ist heute ganz besonders stickig«, sagte Svenya. »Ich möchte, dass du veranlasst, dass alle Türen und Fenster im Palast geöffnet werden, damit es hier einmal richtig durchzieht. Hurdh werde ich selbst öffnen.« Wenn sie sich gleich unsichtbar machte, durfte sie nicht riskieren, dass jemand beobachtete, wie sich die eine oder andere Tür auf geheimnisvolle Weise öffnete, ohne dass man jemanden durchgehen sah.
»Eine solche Maßnahme entspricht nicht unseren Sicherheitsvorschriften«, sagte Yrr knapp und machte keine Anstalten, Svenyas Befehl Folge zu leisten. Im Gegenteil, sie schloss demonstrativ die Tür, durch die sie eben den Raum betreten hatte.
»Das ist mir egal«, sagte Svenya. »Ich brauche frische Luft. Mir ist erst heute durch den Besuch im Wald aufgefallen, wie muffig es hier riecht.«
»Hier riecht es nicht muffig«, erwiderte Yrr. »Kein bisschen.«
Svenya fasste sich ein Herz und sagte so streng und von oben herab, wie sie nur konnte: »Kommandant, habe ich Euch nach Eurer Meinung gefragt oder nach Eurem Gehorsam?«
Sofort stand Yrr stramm. »Bis Ihr endgültig die Hüterin Midgards seid, unterstehe ich nicht Eurem Befehl, sondern dem von General Hagen«, erwiderte sie sachlich.
Verdammt! Sie musste sich etwas einfallen lassen.
»Soll das bedeuten, dass ich erst zu Hagen gehen und ihn wecken muss, um ihn zu bitten, dir zu befehlen zu tun, worum ich dich gerade gebeten habe?«
»Das wäre der korrekte Weg, Eure Hoheit«, erwiderte Yrr knapp.
Svenya hätte ihr vor Wut am liebsten ins Gesicht geschlagen. Sie hatte Paragraphenreiter schon immer verabscheut. Aber da kam ihr eine Idee.
»Dir wäre das vielleicht nicht peinlich, ihn wegen einer solchen Kleinigkeit zu stören«, sagte sie. »Mir allerdings schon. Aber wir versuchen das anders.«
Yrr schaute sie gelassen abwartend an – sie fühlte sich ganz offensichtlich im Recht und benutzte diese Überlegenheit, um Svenya zu demütigen.
»Ist es mir laut deiner Vorschriften gestattet, diese Tür zu öffnen?«, fragte Svenya und deutete auf die Tür zu dem an ihr Schlafzimmer angrenzenden Gemach.
»Natürlich nicht«, antwortete Yrr.
»Und hast du den ausdrücklichen Befehl, eine Tür, die ich öffne, hinter mir zu
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