Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
letzten beiden Worte sprach sie, wie so oft, voll überheblicher Verachtung.
Svenya sah zu Boden: Yrr hatte überall feinsten Quarzsand verstreut. Was bedeutete, dass sie Svenya nicht nur hören, sondern auch ihre Spuren sehen konnte.
Hagens Tochter zog ein Schwert aus der Scheide, und Svenya hielt unwillkürlich den Atem an. Es war ein Übungsschwert – mit stumpfer Schneide, aber dennoch aus Metall. Ganz offenbar hatte Yrr nicht nur mit dem Fluchtversuch gerechnet, sie hatte auch vor, Svenya eine derbe Tracht Prügel zu verabreichen.
»Das wagst du nicht«, sagte Svenya leise.
»Wenn Ihr Euch nicht augenblicklich wieder sichtbar macht und in Euer Schlafgemach zurückkehrt, zwingt Ihr mich dazu.« Yrrs fast schon vorfreudig funkelnder Blick verriet, wie sehr sie hoffte, dass Svenya nichts dergleichen zu tun bereit war.
Aber was sollte sie tun? Vielleicht wäre sie in der Kombination Unsichtbarkeit und Echte Waffen einem Kampf mit Yrr gewachsen – zumindest so weit, dass sie ihn überstehen würde; aber durfte sie Yrr ernsthaft verletzen oder gar töten, nur um ihre eigene Haut zu retten? Svenya zögerte. Sie mochte sie nicht, aber Yrr war kein Stück weniger unschuldig als Oegis – sie tat nur ihre Pflicht. Dass sie sie gerne tat und nicht nur bereit, sondern geradezu gierig darauf war, Svenya richtig wehzutun, änderte daran nicht das Geringste. Auch Oegis war bereit, sie zu töten, aber das gab Svenya in ihren Augen noch lange nicht das Recht zu morden. Aufgeben wollte sie andererseits aber auch nicht.
»Ich zähle bis zehn«, sagte Yrr. »Danach greife ich an.«
Denk! Schnell! Svenyas Gedanken rasten.
Yrr begann zu zählen.
Und plötzlich hatte Svenya eine Idee.
Sie zog eilig den Rucksack vom Rücken und kramte die Jeans heraus. Dabei achtete sie genau darauf, keinen der Gegenstände loszulassen, weil sie dadurch unsichtbar blieben. Schnell zog sie den Rucksack wieder an, nahm die Enden der Hosenbeine in beide Fäuste und wickelte sie ein paar Mal darum herum, so dass der Rest der Hose ihr als ein etwa ein Meter langer Fangstrick diente.
Als nächstes machte Svenya zwei Schritte zur Seite. Yrr folgte dem Geräusch und ihren Fußstapfen mit den Augen und verlagerte entsprechend ihr Gewicht. Dabei zählte sie die ganze Zeit weiter.
»Sechs, sieben, acht.«
Sie laufend anzugreifen, war also keine Option – ebenso wenig wie länger hier stehen zu bleiben.
»Neun … zehn!«
Yrr rannte los. Direkt auf sie zu.
Ohne weiter nachzudenken oder zu zögern, sprang Svenya aus dem Stand nach vorne und in die Höhe.
Yrr hörte das Geräusch des Absprungs. Doch ehe sie reagieren und die Richtung ändern konnte, war Svenya schon in einem Halbsalto über ihr und schlang Yrr mit einer blitzschnellen Bewegung die Hose um den Hals. Mit einer weiteren Halbdrehung, diesmal um ihre Längsachse, landete sie direkt hinter der Kriegerin. Dabei hatte Svenya die Hosenbeine über Kreuz gedreht und zog sie jetzt mit aller Kraft zu.
Yrr wollte noch herumwirbeln – ihre Kraft war erstaunlich – doch Svenya trat ihr hart erst in die eine und dann in die andere Kniekehle, so dass Yrr den Halt verlor und in die Knie ging.
Unbarmherzig, aber vorsichtig, um sie nicht versehentlich zu töten, zog Svenya ihre Schlinge immer fester zu. Mit einer Hand griff Yrr nach den Jeans und versuchte, sie sich vom Hals zu reißen, mit der anderen stach sie mit dem Übungsschwert über ihre Schulter hinweg nach Svenya. Die aber stellte ihren Fuß in Yrrs Nacken und drückte sie mit dem Bein immer weiter nach vorn, damit das Schwert ihr nicht gefährlich werden konnte.
Svenya war überrascht, dass sie stark genug war, die sich hin- und herwindende Yrr zu halten und immer weiter zu würgen. War es das, wovon Hagen gesprochen hatte? Dass sie im Training nicht ihre wahre Kraft entfaltete, wohl aber dann, wenn sie sie wirklich brauchte?
Yrr begann zu röcheln, und nach weiteren Sekunden wurden ihre Versuche, mit dem Schwert nach Svenya zu stechen, immer schwächer und unkontrollierter. Svenya musste sich beeilen – sie durfte nicht riskieren, dass jemand anderes vorbeikam und die zuckend strampelnde Yrr entdeckte.
Sie hatte immer gedacht, sie würde Triumph empfinden, wenn sie endlich einmal in der Lage wäre, sich gegen Hagens Tochter durchzusetzen und sie zu besiegen – jetzt aber fühlte sie nichts dergleichen. Was sich in ihrem Inneren regte, war eine gewisse Traurigkeit, ihr das antun zu müssen, und Achtsamkeit, damit sie ihr
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