Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
schließen?«
»Ich habe den Befehl, die Sicherheit des Palastes zu gewährl…«
Svenya unterbrach sie. »Gibt es einen Befehl, der besagt, dass du Türen, die ich in meinem eigenen Palast offen stehen lasse, schließen sollst?«
»Nein«, sagte Yrr zögernd. »Einen solchen Befehl gibt es nicht.«
»Gut«, sagte Svenya, öffnete die Tür und ging in den nächsten Raum. Yrr folgte ihr widerstrebend. Dort wiederholte sie das Spiel und deutete auf die nächste Tür. »Ist es mir laut Vorschrift gestattet, diese Tür zu öffnen?«
»Äh, ja …«
»Gut«, sagte Svenya und zwang sich, keine Miene zu verziehen, öffnete die Tür und schritt zum nächsten Saal. »Und diese?«
»Äh …«
Auf diese Weise öffnete Svenya jede einzelne Tür in ihrem Palast, bis sie schließlich zu Hurdh kam und dem Portal befahl, sich zu öffnen.
»Ich kann das nicht zulassen«, begehrte Yrr auf.
»Du hast gar keine andere Wahl«, entgegnete Svenya hochmütig. »Du stehst vielleicht nicht unter meinem Befehl, aber ebenso wenig besitzt du die Befugnis, meine Entscheidungen zu revidieren. Im Gegenteil: Ich warne dich sogar ausdrücklich davor, auch nur eine meiner Türen gegen meinen Willen zu schließen. Vielleicht habe ich jetzt noch nicht die Macht, aber ich schwöre dir: Solltest du es wagen, eine davon auch nur zu berühren, wirst du Latrinen schrubben, wenn ich die Hüterin bin. Und wenn es hier keine Latrinen mehr gibt, werde ich dich zum Flemysmist-Entsorgen abkommandieren. Ist das angekommen?«
»Eine Drohung wäre nicht nötig gewesen.«
»Oh doch«, hielt Svenya dagegen. »Die war sehr wohl nötig, Yrr. Ich habe nämlich dermaßen die Schnauze voll von deiner arroganten und feindseligen Art und davon, dass du alles, was ich tue, in Frage stellen oder mit Schmutz bewerfen musst, dass du mir gar keine andere Wahl lässt. Verflucht, ich wollte nur ein bisschen frische Luft, und du hast einen Staatsakt daraus gemacht!« Damit wirbelte sie herum und stapfte zurück in ihr Schlafzimmer.
Als sie ganz sicher war, dass Yrr ihr nicht gefolgt war, zog Svenya schnell den Rucksack an und aktivierte die Tarnung ihrer Rüstung. Unsichtbar huschte sie wieder nach draußen. Wie eben – Raum für Raum, sehr darauf bedacht, nirgendwo dagegenzustoßen oder etwas anzurempeln. Dass eine einzige Unachtsamkeit sie verraten und ihre Flucht vereiteln könnte, machte aus jeder noch so kleinen Bewegung eine ganz neue Herausforderung.
Endlich war sie in der Vorhalle angekommen – und blieb wie angewurzelt stehen. Yrr stand in der Tür, beide Hände an den Griffen ihrer Waffen – den wachsamen Blick nach innen gerichtet statt nach außen. Svenya schlug das Herz bis zum Hals. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, Yrr könnte sie trotz der Tarnung sehen, doch dann wanderte der Blick der Kriegerin weiter. Hin und her. Svenyas gespielter hysterischer Anfall hatte Yrr offensichtlich nicht getäuscht – sie musste ahnen, was Svenya vorhatte. Svenya fluchte in sich hinein. Wenn Yrr jetzt schon misstrauisch war, würde sie – eher früher als später – in Svenyas Schlafzimmer gehen. Und sobald sie entdeckte, dass Svenya nicht mehr da war, würde sie Alarm schlagen. Was alles ruinieren würde … oder im besten Fall ihren Vorsprung so gut wie zunichte machte. Einen Moment lang überlegte Svenya, ob sie Yrr attackieren sollte, um sie unschädlich zu machen, verwarf den Gedanken jedoch sofort. Sie wusste ganz genau, dass sie der Kriegerin nicht gewachsen war und mit einem Angriff nur riskieren würde, dass ihre Flucht gleich hier und jetzt zu Ende wäre. Dann lieber in Kauf nehmen, dass ihr Vorsprung verschwindend gering sein würde. Svenya seufzte innerlich. Es musste ihr irgendwie gelingen, an Yrr vorbeizuschleichen, ohne sie auf sich aufmerksam zu machen.
Zwischen Yrr in der Mitte und dem Rahmen Hurdhs zu beiden Seiten waren je zwei bis drei Meter Abstand – Platz genug für Svenya. Langsam ging sie los und behielt Yrrs Gesicht dabei genau im Blick, damit sie abschätzen konnte, ob sie sie hörte oder ob und in welche Richtung sie sich bewegen würde.
Aber dann –
Svenya war noch keine drei Schritte auf die Kriegerin zugegangen, da knirschte etwas verräterisch laut unter ihren Fußsohlen. Yrrs Blick wirbelte sofort zu ihr herum, und Svenya sah ihr unverhohlen triumphierendes und boshaftes Grinsen.
»So einfach trickst Ihr mich nicht aus, Eure Hoheit«, sagte sie und fixierte genau die Stelle im Raum, an der Svenya stand. Die
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