Elbenzorn
zusammen und warf sie in ihren Teller. Sie steckte Indrekin noch eine letzte Mandel in den Mund und öffnete den Brief.
Stirnrunzelnd überflog sie die Zeilen in Nekiritans schwungvoller Handschrift. Er entschuldigte sich blumig, dass er ihre Verabredung nicht einhalten könne, aber er sei in wichtigen Angelegenheiten des Rates unterwegs. Sie möge ihm verzeihen und die Gnade gewähren, später am Abend noch bei ihr vorzusprechen und eine neue Verabredung für ihren Ausflug zu treffen. Iviidis faltete den Brief zusammen und tippte mit der Kante gegen ihre Zähne. Wichtige Ratsangelegenheiten. Ihr Vater war seit gestern verreist, und Zinaavija behauptete, sie wisse nicht, wohin.
Kurz entschlossen stand Iviidis auf und nahm ihren Sohn auf den Arm, um ihn bei seinem Kindermädchen abzuliefern. Sie hatte Vinoota versprochen, sie endlich wieder einmal zu besuchen – und mit einiger Wahrscheinlichkeit würde sie den Ratsherrn Gintaris bei ihrer Freundin finden. Vielleicht konnte sie ihn ein wenig zum Reden darüber verleiten, welche Angelegenheiten den Rat zur Zeit derart in Atem hielten.
Iviidis traf ihre Freundin wie erhofft in Gintaris’ Begleitung an. Die beiden wandelten Arm in Arm durch den kleinen Rosengarten, der Vinootas Haus umgab, und nahmen hastig ein wenig Abstand voneinander, als sie Iviidis erblickten.
»Meine Liebe«, flötete Vinoota und eilte mit ausgebreiteten Armen auf Iviidis zu. »Wenn ich gewusst hätte, dass du mich heute besuchst, hätte ich ein Frühstück für uns vorbereitet. Was darf ich dir anbieten?«
Iviidis erwiderte Gintaris’ höfliche, wenn auch nicht sehr erfreute Begrüßung und dankte Vinoota. »Ich komme gerade vom Frühstück. Ich hoffe, ich störe euch nicht.«
»Aber nein«, beteuerte Vinoota und errötete sanft. »Du bist uns sehr willkommen. Nicht wahr, Gintaris?«
Der Ratsherr murmelte etwas Höfliches, Nichtssagendes. Vinoota nahm seinen Arm und hakte sich auf der anderen Seite bei Iviidis unter. Sie führte beide zwischen den Rosenhecken hindurch zu einem zierlichen Bänkchen und einem kleinen Tisch, die unter einer rosenberankten Pergola zum Verweilen einluden. Auf dem Tisch standen zwei geschliffene Gläser und eine Karaffe, die mit Wasserperlen benetzt war.
»Setzt euch, meine Lieben«, sagte Vinoota. »Sagt, ist das nicht ein schöner Morgen?« Ein himmelblauer Schmetterling flatterte vorüber, glänzend im Sonnenlicht.
»Ein wunderschöner Morgen«, bekräftigte Gintaris und griff nach Vinootas Hand, um einen Kuss auf ihre Finger zu drücken.
Vinoota lächelte ihre Freundin halb entschuldigend an und schenkte aus der betauten Karaffe eine blassrosa Flüssigkeit in die beiden Gläser. Iviidis nahm das Glas, das Vinoota ihr reichte und aus dem es zart nach Rosen und Pfirsichen duftete.
»Wir können aus einem Glas trinken«, sagte Vinoota zu dem Ratsherrn. Iviidis begann sich ein wenig unbehaglich zu fühlen. Ganz offensichtlich störte sie ein verliebtes Paar, und normalerweise hätte sie sich gleich wieder unter einem Vorwand verabschiedet und ein späteres Treffen mit ihrer Freundin ausgemacht. Aber der Drang, herauszufinden, was den Rat im Augenblick beschäftigte, war stärker als alle Höflichkeit.
Sie nippte an dem fruchtigen Getränk und drehte fahrig den Stiel des geschliffenen Glases zwischen den Fingern, dass es blitzende Reflexe auf ihr Kleid und den Tisch warf.
»Was gibt es Neues?«, fragte sie Vinoota. »Du bist doch immer so gut unterrichtet.«
Vinoota lächelte geschmeichelt und begann gleich, den neuesten Klatsch auszubreiten. Gintaris lauschte der Stimme seiner Angebeteten eine Weile, dann sah Iviidis, wie sein Blick in die Ferne schweifte. Ganz offensichtlich hatte der Ratsherr nicht viel für Klatsch und Gerüchte übrig.
»Und Ihr, edler Ratsherr? Was beschäftigt den Rat zur Zeit?«, fragte Iviidis in einer Pause, vordergründig darum bemüht, den gelangweilten Gintaris wieder ins Gespräch zu ziehen.
Gintaris dankte ihr mit einem Lächeln für den Themenwechsel und begann sich ausführlich über die verschiedensten Ratsgeschäfte auszulassen. Iviidis versuchte, ihn in die gewünschte Richtung zu lenken, indem sie Nekiritan und dann auch Glautas’ Abwesenheit erwähnte, aber entweder wusste Gintaris nicht, was ihn und Iviidis’ Vater zur Zeit in Atem hielt, oder er wollte nicht darüber sprechen.
Als sich die erste Gelegenheit ergab, erhob sich Iviidis, dankte Vinoota für ihre Gastfreundschaft und verabschiedete sich von den
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