Elbenzorn
zweifelnd. »Aber sei vorsichtig«, bat sie. Sie erhob sich. »Ich muss zum Dienst. Soll ich mich bei deinem Treffen mit Nekiritan in der Nähe aufhalten – vorsichtshalber?«
Iviidis schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich werde ihn hierher bitten. Hier geschieht mir nichts, nicht mit all der Dienerschaft im Haus. Außerdem glaube ich wirklich nicht, dass Nekiritan mir Böses tun würde. Mach dir keine Sorgen, Broneete. Wir treffen uns morgen, und ich erzähle dir, was ich aus ihm herausbekommen
habe.«
Den Nachmittag verbrachte Iviidis äußerst geruhsam. Sie dachte weder über Nekiritan noch über irgendwelche Verschwörungen nach, sondern vertiefte sich wie geplant in die Aufzeichnungen ihrer Mutter und Andronee Mondauges. Als die Sonne hinter den Bäumen verschwand und die Stimmen der Vögel den Abend begrüßten, erhob sie sich bedauernd, streckte die Glieder und ging ins Haus, um sich für den Besuch passend anzukleiden. Sie hatte den kleinsten der Innenhöfe für das Treffen ausgewählt. Seine Lage im äußeren Ring und an der Seite, die dem Haupteingang entgegengesetzt war, machte ihn zu einem der verschwiegensten Treffpunkte in Glautas’ Haus. Außerdem war er wirklich winzig: Er bot gerade mal Platz für zwei über Eck stehende Ruhebänke.
Iviids verteilte großzügig einige Kissen darauf. Dann rückte sie das Tischchen mit den Gläsern in die Mitte und ließ sich in die Kissen sinken. Erstaunt stellte sie fest, dass sie aufgeregt war. Sie musste ihre Hände zur Ruhe zwingen, als sie sich ein Glas Wein einschenkte und es mit Wasser verdünnte.
Nekiritan kam spät, und er wirkte weniger glanzvoll als bei ihrem letzten Treffen. Tatsächlich waren da müde Linien um seine Augen, und sein Lächeln war nicht so strahlend wie sonst. »Verzeih, dass ich dich habe warten lassen«, murmelte er und beugte sich über ihre Hand.
»Das macht nichts«, sagte Iviidis. »Komm, setz dich und trink etwas. Du siehst aus, als hättest du einen harten Tag hinter dir.«
Nekiritan nahm das Glas, das sie ihm reichte, und trank durstig. »Hart – nun ja. Er war vor allem lang. Ich war vor Morgengrauen auf den Beinen, und du weißt ja, dass ich kein Frühaufsteher bin.« Er lächelte.
Sie schenkte ihm einen Blick, den sie Gintaris abgeschaut hatte. Nekiritans Lächeln verblasste, er sah sie an, als traute er seinen Augen nicht recht. Iviidis senkte die Lider und führte das Glas an ihre Lippen. »Erzähl schon«, sagte sie. »Was hat dich so früh aus dem Bett getrieben?«
Nekiritan lehnte sich in die Kissen und berührte dabei wie zufällig ihre Schulter. Sie tat so, als hätte sie es nicht bemerkt und wich auch nicht zurück. Er rückte ihr noch ein Stückchen näher. »Nichts, was unterhaltsamen Gesprächsstoff abgäbe, meine Schönste«, sagte er. »Trockene Ratsangelegenheiten.«
Iviidis spielte mit den Quasten, die an einem der Kissen baumelten. »Wie trocken ist eine Angelegenheit, die dich im Morgengrauen aus dem Bett jagt und bis zum Abend in Atem hält?«, fragte sie. »Oder ist es so geheim, dass du nicht darüber reden darfst?«
Seine Mundwinkel zuckten unmutig. »Warum willst du das denn unbedingt wissen?«, fragte er. »Ich habe mich den ganzen Tag damit herumgeärgert und dachte eigentlich, dass wir uns beide heute Abend etwas Besseres als Unterhaltung aussuchen könnten.«
Sie legte besänftigend die Hand auf seinen Arm. »Ich wollte dich nicht ärgern, Kiritan. Es ist nur so, dass ich nicht viel Neues zu hören bekomme, seit Glautas verreist ist. Wir unterhalten uns abends auch immer über seine Angelegenheiten – ich bin einfach daran gewöhnt. Du weißt, ich war vor meiner Heirat eine seiner engsten Mitarbeiterinnen. Mir ist wahrscheinlich einfach ein wenig langweilig.«
Nekiritan küsste ihre Hand und hielt sie fest. Er sah tief in ihre Augen. »Vergib mir, Ivii. Ich hätte nicht so gereizt zu dir sprechen dürfen. Aber ich will dich schließlich auch nicht langweilen – und mein Tagesgeschäft war zum Weglaufen öde!«
Sie musste sich wohl oder übel mit dieser Antwort begnügen. Eine Weile herrschte Schweigen, dann seufzte Iviidis und sagte: »Weißt du, wo mein Vater ist? Es käme mir so albern vor, Zinaavija danach zu fragen.«
Nekiritan zögerte kurz. Dann schüttelte er lächelnd den Kopf. »Du stellst mir schwierige Fragen, Sonne meines Lebens. Ich kann dir nicht sagen, wo Glautas ist, aber immerhin so viel: Es hat wohl mit seinen Ermittlungen in dieser leidigen Mordsache zu tun. Es hat
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