Elbenzorn
neuen Morden. Ich bin einfach die falsche Person für solche Arbeit. Und gestern habe ich mich vor Nekiritan komplett zum Narren gemacht«, setzte sie erbittert hinzu.
Alvydas lachte. »Das kann ich mir gar nicht vorstellen«, sagte er erheitert.
Iviidis nickte nachdrücklich. »Und ob. Ich habe mit den Wimpern geklimpert und ihn angeschmachtet und unglaublich schwachsinnige Dinge von mir gegeben, bis mir beinahe selbst übel geworden ist. Ich dachte, ich wäre raffiniert, aber ich war einfach nur – ungeschickt.« Ihr Gesicht war rot überhaucht, und Alvydas brummte tröstend.
»Was hältst du von Nekiritan?«, fragte er.
Iviidis drehte gedankenverloren einen kleinen Zweig mit herzförmigen hellgrünen Blättern zwischen den Fingern. »Ich halte ihn für klug, arrogant und ungeheuer machtgierig«, sagte sie nach einer Weile. »Er versteckt seine Klugheit hinter seinem affektierten Gehabe, aber ich kenne ihn und weiß, dass er alles andere als ein Geck ist.« Sie kaute auf ihrer Unterlippe. »Es war dumm, ihm gestern so ein Theater vorzuspielen. Aber seltsamerweise schien es ihm zu gefallen.«
Alvydas wiegte den Kopf. Das Licht des Elbenfeuers tanzte spiegelnd auf seinem haarlosen Schädel. »Hat er dir dein Theater denn geglaubt?«
Iviidis hob zögernd die Schultern. »Ich denke ja. Er wurde ein paarmal heftig, wenn ich eine Frage stellte, die er nicht beantworten wollte, aber er war immer schnell wieder besänftigt.«
»Glaubst du, er will dich wirklich immer noch heiraten?«
»Ja. Ich bin die Erbin des Hauses Rutâr, und in meinen Adern fließt wie in den seinen königliches Blut. Er ist versessen darauf, die alten Zeiten wieder aufleben zu lassen. Er will Kinder von königlichem Geblüt und wird niemals eine Frau heiraten, die unter seinem Stand steht.«
Alvydas schüttelte sich. »Dieser junge Narr«, sagte er leise.
Iviidis schloss die Hand um den Schwarzbernstein. »Lass uns beginnen«, sagte sie. »Ich freue mich schon darauf, zur Abwechslung mal in deinem Leben herumzuschnüffeln.«
Alvydas lachte überrascht auf und gab sich in ihre Obhut.
Der sanft schwellende Fluss seiner Erinnerungen füllte ihren Geist mit Bildern, Gerüchen und Lauten. Da war die Berührung von sanften Händen, das glitzernde Licht auf bewegtem Wasser, der eintönige Gesang eines Weidenlaubsängers, der starke Geruch von Buchsbaum an einem heißen Sommertag, die Stimme ihrer Mutter, die lachend »Alter Esel« sagte, das Klirren von Waffen und die Schreie von Sterbenden, wiehernde Pferde und das tiefe Dröhnen einer Stimme, die zu keinem Tier gehörte, das sie kannte, Mondlicht, das sich auf eisbedeckten Gipfeln spiegelte, das sanfte Rascheln von weichem Stoff, der über Gras glitt, plätschernder Regen und das Gefühl von Nässe auf der Haut.
Der Fluss versiegte. Iviidis öffnete die Augen und löste ihre Finger von dem Bernstein. Sein Herz leuchtete tiefgolden und pulsierte in einem stetigen Takt. Alvydas lehnte in seinem Stuhl, die tief liegenden Augen waren geschlossen, und seine Brust hob und senkte sich im gleichen, langsamen Rhythmus. Er schlief fest. Iviidis nahm eine Decke von seinem schmalen Lager und deckte ihn damit zu. Dann hob sie den Bernstein auf, wickelte ihn sorgfältig ein und legte ihn in sein Behältnis zurück.
Die frischen Erinnerungen in ihrem Kopf machten sie ein wenig schwindelig, und sie ermahnte sich achtzugeben, dass sie auf dem Weg durch das dunkle Innere des Baumes keinen Fehltritt tat. Morgen würde sie damit beginnen, die Erinnerungen ihres Lehrers zu sortieren – aber jetzt wollte sie erst einmal nichts weiter als ihr Bett und ein wenig Schlaf und danach in Frieden und Ruhe mit ihrem Sohn spielen, bevor sie sich am Abend wieder mit Broneete traf.
20
D ie nächsten Tage verliefen so ereignislos und friedlich, wie Iviidis es sich gewünscht hatte. Broneete hatte ihren Bericht über das Rendezvous mit Nekiritan mit einem Schmunzeln kommentiert und war damit einverstanden, alle weiteren Nachforschungen ruhen zu lassen, bis Glautas wieder zurück war. Iviidis erkannte überrascht, dass die Gardistin sich um ihre und Indrekins Sicherheit sorgte und nur deshalb bereit war, vorläufig nichts weiter in dieser Angelegenheit zu unternehmen. Dieser Gedanke beunruhigte Iviidis allerdings noch mehr.
Iviidis’ Vater schickte einen Boten, der seine Rückkehr in den nächsten Tagen ankündigte, und Zinaavija nutzte die Zeit, sämtliche Bediensteten für eine ausgedehnte und gründliche
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