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Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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ihn. »Und das, obwohl du so einen langen Fußmarsch hinter dir hast. Was mache ich bloß mit dir?«
    Er setzte sie ab und küsste sie. »Nimm mich mit in dein Bett und bring mich außer Atem«, flüsterte er ihr ins Ohr.
    Sie lachte und wand sich aus seiner Umarmung. »Für jetzt weiß ich etwas Besseres.« Sie deutete empor. »Kannst du klettern?«
    Als sie endlich vor dem Einstieg zu Alvydas’ Baumhöhle angelangt waren, lehnte sich Olkodan gegen den Stamm, ließ die Beine baumeln und schloss die Augen. »Macht dein alter Lehrer das jeden Tag?«, fragte er. »Ich bin beeindruckt. Er muss weniger gebrechlich sein, als du mir erzählt hast.« Er massierte seine schmerzenden Beine.
    »Er geht nicht mehr hinaus«, sagte Iviidis leise.
    Olkodan öffnete die Augen und sah sie aufmerksam an. »Du machst dir Sorgen um ihn?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Er ist älter als jeder Elb, den du kennst«, erwiderte sie. »Aber du wirst ihn ja bald kennenlernen.« Sie reichte Olkodan die Hand und zog ihn auf die Beine.
    Olkodan folgte ihr durch das finstere Innere des Baumes. Sie hatte für ihn einen kleinen Elbenfunken entzündet, damit er bei seinem ersten Mal auf diesem Weg keinen Fehltritt tat. Vor dem Eingang zu Alvydas’ Heim drehte sie sich zu Olkodan um und bedeutete ihm, auf sie zu warten. Sie verschwand durch den Vorhang, und nach einer Weile hörte Olkodan ihre Stimme und dazwischen eine dunklere, leise Männerstimme.
    Wenig später tauchte Iviidis’ helle Erscheinung wieder auf. Sie trat durch den Vorhang und schüttelte bedauernd den Kopf. »Es geht ihm nicht gut genug, um einen Fremden zu sehen«, sagte sie. »Er entschuldigt sich bei dir und lässt dir ausrichten, dass er sich darauf freut, dich bald kennenzulernen.«
    Olkodan nickte ein wenig enttäuscht. Iviidis führte ihn zurück, und als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten, schlug sie vor, stattdessen Alvurkan aufzusuchen.
    Der Baumsinger freute sich ganz offensichtlich über ihren unangekündigten Besuch. Er bat sie herein und erzählte, dass er vor Aufregung kaum arbeiten konnte, weil der Tag seines Verlöbnisses mit Riikarja inzwischen so dicht vor der Tür stand, dass er das Weiße in seinen Augen sehen konnte.
    Iviidis lachte und drückte seine Hand. »Du wirst sehen, es ist alles halb so schlimm«, sagte sie. »Und es tut auch fast gar nicht weh.«
    Alvurkan schmunzelte und sah Olkodan an. »Schade. Wenn ich gewusst hätte, dass du hier sein wirst, hätte ich dich gebeten, mein Begleiter zu sein.«
    Er verzog kurz das Gesicht, und Iviidis lachte auf. »Ich weiß, was du denkst. Wenn Nekiritan dir dazu überhaupt die Gelegenheit gegeben hätte.«
    Der Baumsinger lächelte und erwiderte nichts. Er musterte Olkodan. »Du hast dich verändert«, sagte er. »Siehst nicht mehr so verschreckt aus. Es muss schlimm für dich gewesen sein, in das Schussfeld von Nekiritan und Iviidis’ furchterregendem Vater zu geraten.«
    Olkodan stieß ein überraschtes Lachen aus, und Iviidis riss die Augen auf. »Warum nennst du Glautas denn ›furchterregend‹?«
    Alvurkan fuhr nachdenklich mit seinen schlanken Fingern über ein halb fertiges Figürchen aus dunkelrotem Holz, das auf dem Tisch stand. Das Zimmer, in dem sie saßen, war licht und beinahe unmöbliert, aber überall standen Schmuckgegenstände und Skulpturen aus Holz, an denen Alvurkan gerade arbeitete.
    Er schob das Figürchen fort. Iviidis fiel erneut auf, dass auch Alvurkan sich verändert hatte. Sein schmales Gesicht mit den sanften Zügen war kantiger geworden in der Zeit, in der sie nicht im Sommerpalast geweilt hatte.
    »Dein Vater hat keinerlei Geduld und zeigt auch nicht allzu große Nachsicht für die Schwächen seiner Mitelben«, sagte er. »Ich glaube, er verachtet in Wirklichkeit jeden, der ihm geistig oder körperlich unterlegen ist – und das dürfte so ziemlich alle hier im Sommerpalast betreffen. Selbst die, die sich seine Freunde nennen, können sich da nicht sicher fühlen.« Er lächelte ein wenig schief, und seine dunkelblauen Augen sahen sie entwaffnend an. »Du bist seine Tochter, du kennst ihn sicherlich auch anders. Aber ich bin schon ein paar Mal übel mit ihm zusammengestoßen und habe wenig Lust, das zu wiederholen. Dabei halte ich mich wirklich nicht für schwächlich oder dumm – aber dein Vater ist wirklich ein harter Brocken.«
    »Ich dachte immer, ich wäre der Einzige, der ihn fürchtet«, sagte Olkodan erleichtert.
    Alvurkan schüttelte lächelnd den Kopf.

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