Elbenzorn
Zwerg.
Alvydas saß mit geschlossenen Augen unter den tief hängenden Zweigen eines Baumes. Er blickte auf, als sie kamen, und schüttelte den Kopf. »Nicht in der Hütte? Ich habe es mir gedacht.« Er stand auf. »Ich werde mich drinnen ein wenig ausruhen. Das Sonnenlicht tut meinen Augen weh.« Er deutete auf den Wald rundum. »Iviidis ist hier irgendwo. Du hast sie schon einmal gehört, Olkodan. Nutze deinen Verstand und deine Sinne, dann wirst du sie finden.«
Die beiden sahen ihm nach, wie er mit tastenden Schritten zur Hütte ging und darin verschwand. Dann klatschte der Zwerg in die Hände. »Also ans Werk. Wo fangen wir an?«
31
D ie Höhle war klein, angenehm warm und bestand eigentlich nur aus einem großen Becken mit Wasser, das verlockend dampfte. Sonnenlied entzündete mit einer beiläufigen Handbewegung ein Dutzend Elbenfunken, die sie an den Wände verteilte. Rutaaura sah ihr staunend dabei zu. Elbenfunken erloschen normalerweise sofort, wenn sie sich weiter als eine Armlänge von ihrem Erzeuger entfernten.
Sonnenlied sah ihr Erstaunen und lächelte. »Das ist keine Kunst«, sagte sie. »Du wirst es schnell heraus haben.«
Sie warf Rutaaura ein weiches Badetuch zu und deutete auf das Becken. »Wie versprochen: Wir haben es für uns allein.« Rutaaura entkleidete sich und glitt in das heiße Wasser. Es prickelte ein wenig, als wäre Luft darin gelöst. Das Becken hatte – natürliche oder aus dem Stein gehauene? – Stufen, die ein bequemes Sitzen im Wasser ermöglichten. Sie tauchte bis zum Hals hinein und seufzte vor Wonne. Ihre von der Reise zerschlagenen Muskeln begrüßten die Hitze.
Sonnenlied legte ihre Kleider zu einem ordentlichen Päckchen zusammen und stieg etwas langsamer in das Becken. »Ah, das tut gut!«, schnaufte sie und schloss die Augen.
Rutaaura tat es ihr nach. So lagen sie da und genossen es, langsam aufzuweichen.
»Diese Höhlen«, sagte Rutaaura nach einer Weile. »Findest du dich hier zurecht?«
»Nicht überall. Ich vermeide es, zu weit hineinzugehen. Die Älteste ist die Einzige, die alle Wege kennt.« Sonnenlied beugte sich zu ihr, und das Wasser plätscherte gegen den Stein. »Man sagt, dass es von hier aus einen Ausgang zu jedem beliebigen Punkt auf der Welt gibt.« Sie zwinkerte verschwörerisch.
»Ich glaube es fast«, brummte Rutaaura und griff nach dem Bimsstein, der auf dem Rand lag. »Ich bin durch diese Gänge gelaufen, bis ich dachte, ich bin einmal um den Südlichen Ozean marschiert.«
Sonnenlied sah sie mitfühlend an. »Wie lange warst du da unten, was schätzt du?«
»Eine Nacht lang mindestens«, erwiderte Rutaaura gallig.
Sonnenlied nickte. »Ich dachte damals, ich wäre vier Nächte dort gewesen. Es war ziemlich schlimm.«
»Was hast du gesehen?«
Sonnenlied zögerte. »Wir sprechen nur mit der Ältesten darüber«, sagte sie schließlich. »Es ist zu … persönlich.«
Rutaaura rieb sich kräftig mit dem rauen Stein ab. »Ich verstehe. Sag mal, die Älteste – sie bestimmt hier alles?«
Die andere Elbin plätscherte mit der Hand durch das Wasser und betrachtete die kleinen Wellen, die dabei entstanden. »Ja und nein«, erwiderte sie. »Wir würden niemals gegen eine ihrer Entscheidungen handeln, aber das hat gute Gründe. Ohne Windgesang wären wir wahrscheinlich alle heimatlos über die Welt verstreut oder sogar tot.«
»Was ist mit diesem Elben, den Wolkensucher nicht leiden kann – er war bei der Patrouille, die uns empfangen hat.«
»Nebelherz. Ja, der ist ziemlich übel.« Sonnenlied zog die Brauen zusammen. »Er und seine Freunde wollen anders leben, als wir es tun. Er findet, dass die Elben im Wandernden Hain uns lange genug ins Exil getrieben haben. Wenn es nach ihm ginge, würden wir den Hain mit Gewalt zurückerobern.« Sie schüttelte so energisch den Kopf, dass die nassen Haare gegen ihre Wangen klatschten. »Keiner hier denkt so. Wir sind nicht glücklich über die Trennung, weil sie falsch ist. Aber wir haben hier unseren eigenen Hain, er bietet uns Schutz, und wir sind frei. Die Goldenen haben uns zu Sündenböcken gemacht, also wollen wir mit ihnen nichts mehr zu tun haben. So einfach ist das.«
Rutaaura schwirrte der Kopf. »Ich glaube, ich verstehe nicht alles, was du erzählst«, sagte sie.
Sonnenlied drückte ihre Hand. »Du wirst schon eine Lektion in Geschichte bekommen, keine Bange. Dafür sorgt Mondauge, schließlich ist sie unsere Historikerin.« Sie grinste. »Sie stürzt sich immer auf die Neuankömmlinge.
Weitere Kostenlose Bücher