Elbenzorn
sagte sie bitter. »Ich glaube, niemand hier hat Olkodan hinterhergeweint, im Gegenteil, alle waren froh, dass ich den Stein des Anstoßes so schnell aus dem Weg geräumt habe.«
»Da irrst du dich«, sagte Alvurkan. Iviidis sah ihn zweifelnd an, aber seine Miene war aufrichtig und ernst. »Es hat sicher eine Gruppe gegeben, die sich mokiert hat – die Gleichen, die sich über alles mokieren, was in irgendeiner Form die Etikette verletzen könnte.« Er verzog verächtlich das Gesicht, und Iviidis wunderte sich über seine Vehemenz. Alvurkan war ein ruhiger, sanftmütiger Elb, aus dessen Mund sie bisher niemals eine Bosheit vernommen hatte.
»Du wirst ja richtig heftig«, sagte sie neckend.
Alvurkan lächelte nicht. »Du warst lange fort«, sagte er kurz. »Die Stimmung hier hat sich verschlechtert. Und das ist nicht nur mein Eindruck.«
Er wandte sich um, weil Glautas von der anderen Seite des Raumes seinen Namen rief. »Dein Vater. Ich bin gleich wieder bei dir«, sagte er entschuldigend.
Iviidis sah ihm nach, wie er das Zimmer durchquerte. Nachdenklich nippte sie an ihrem Wein. Der friedfertige Baumsinger Alvurkan fühlte also auch, dass etwas im Argen lag. Sie hatte ohnehin vorgehabt, sich mit ihm und Riika einmal zu treffen, ohne dass Nekiritan dabei war. Vielleicht erfuhr sie dann ein wenig mehr.
Sie erinnerte sich an ihre Pflicht, ging durch den Raum, wechselte hier und da ein paar Worte und plauderte eine Weile mit einem Elben, mit dem zusammen sie vor ihrer Heirat hin und wie der als Sondiererin gearbeitet hatte. Als ihre Füße zu schmerzen begannen, setzte sie sich auf einen Diwan, an dessen anderem Ende eine ältere Elbin aus Glautas’ Stab saß, die unauffällig ihre Füße massierte und ein wenig verlegen lächelte, als Iviidis sie ansah.
Iviidis deutete auf ihre Füße und verzog schmerzlich das Gesicht. Beide lachten.
»So fröhlich gestimmt, meine Schönste?«, murmelte Nekiritans Stimme, und seine Hand glitt über ihre Schulter. Iviidis schrak zusammen.
»Musst du dich immer so anschleichen?«, fauchte sie. Dann legte sie ihm die Hand auf den Arm. »Entschuldige. Ich bin müde, und meine Füße tun weh, das macht mich gereizt.«
Er ließ sich mit einer geschmeidigen Bewegung neben sie auf den Diwan sinken. Er war so vollendet gekleidet wie immer, sein Haar war perfekt frisiert und leicht gepudert, und seinen Wangenknochen zierte ein sternförmiger Schönheitsfleck. Iviidis dachte an die Hoffnungen ihres Vaters und bemühte sich um eine kühle Miene. Nekiritan ließ sich davon allerdings nicht beirren. Er fuhr fort, ihr ebenso ungeniert und deutlich den Hof zu machen, wie er es schon seit ihrer Ankunft betrieb.
Iviidis war kurz davor, ihn sehr deutlich in seine Schranken zu weisen, obwohl es ihr unangenehm war, das hier in Gesellschaft tun zu müssen, als ausgerechnet Zinaavija ihr zu Hilfe kam.
»Entschuldige, wenn ich euch störe, Nekiritan, aber deine Cousine hat mich gebeten, dir etwas für sie mitzugeben«, sagte sie mit einem Seitenblick auf Iviidis. »Kommst du kurz mit mir?« Nekiritan erhob sich mit einer Entschuldigung und folgte Zinaavija.
Iviidis zögerte, dann stand sie ebenfalls auf und ließ sich langsam durch den Raum treiben, lächelte und grüßte den einen oder anderen und kam so der Ecke immer näher, in der jetzt Zinaavija mit Nekiritan vor einem Schränkchen stand. Beide wandten dem Zimmer den Rücken zu und gaben vor, das hübsch gearbeitete Schränkchen zu betrachten, aber Iviidis konnte erkennen, dass sie in Wirklichkeit nur in ihr Gespräch vertieft waren. Sie biss sich auf die Lippe und manövrierte sich und ihren derzeitigen Gesprächspartner langsam auf die beiden zu. Sie wollte hören, was sie miteinander besprachen, aber das Stimmengewirr rundum und vor allem die dröhnende Stimme des älteren Elbenherrn, der vor ihr stand, machten es ihr unmöglich, mehr als ein paar Fetzen der Unterhaltung aufzufangen.
»… dann sofort den Ausnahmezustand …«, hörte sie Zinaavija gedämpft sagen. Nekiritan hob eine Hand und legte sie um die Türkante des Schränkchens. Iviidis sah, wie seine Knöchel sich weiß verfärbten, so fest packte er zu.
»… nicht unklug?«, hörte sie ihn in einer Gesprächspause ihres Gegenübers sagen. »Die Garde kann nicht …«, wieder schlug das Stimmengewirr über seinen Worten zusammen. Das nächste, was sie hörte, kam wieder aus Zinaavijas Mund: »… wäre allerdings unklug. Aber niemand rechnet damit …«
Iviidis
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