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Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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habe. Keiner von euch, meine Getreuen, soll mich begleiten, denn ich dulde es nicht, dass noch ein weiterer Elb sein Leben lassen muss.‹
    Alles veränderte sich nach diesem letzten Gang unserer Königin. Sie war fort, und wir zogen uns zurück in den Schutz unseres Hains, verwirrt und verlassen wie Kinder, deren Eltern plötzlich gegangen waren. Wir warteten, obwohl wir wussten, dass jedes Warten vergeblich war. Onabiirute hatte ihr Volk verlassen, und sie hatte es getan, ohne einen Regenten zu ihrem Nachfolger zu ernennen.
    Als die Zeit des Wartens und Trauerns vorüber war, begannen schließlich die Kämpfe. Die Fünf Häuser stritten sich um den leeren Thron, und mein Versuch, zwischen ihnen zu vermitteln, scheiterte. Schlimmer noch: Die Fünf wandten sich gegen mich und meine Bewahrer. Wir waren die Mahnenden, die Unbequemen, und mussten teuer dafür bezahlen. Sie gaben uns die Schuld an dem, was geschehen war …«

15
    T rurre Silberzunge hatte sich kurzerhand im Schwarzen Einhorn einquartiert. Von hier aus war es kaum ein halber Tagesritt zum Rand des Wandernden Hains, und es würde sicherlich noch einen Mond oder zwei dauern, bis der unstete Elbenhain auf seinem gemächlichen Weg außerhalb eines Tagesritts angelangt war. Bis dahin jedenfalls bot das Schwarze Einhorn eine praktische Ausgangsbasis für alle infrage kommenden Unternehmungen – sowie ein Dach über dem Kopf, ein weiches Bett und reichliche und regelmäßige Mahlzeiten.
    Der Zwerg saß vor der Tür des Wirtshauses in der Sonne und grübelte über seinem dritten Krug mit frischgezapftem Bier. Die letzte Nachricht, die er erhalten hatte, besagte, dass Rutaaura und Lluigolf auf dem Weg zu einem der Sandläufer-Stämme waren. Danach würden sie weiter in den Südlichen Karst reisen, bis zu ihrer Rückkehr in die Mark Raakus würden also mit Sicherheit noch einige Monde vergehen. Was bedeutete, dass er, Trurre Silberzunge, sich in den nächsten Monden zu Tode langweilen würde, denn er saß hier fest und musste auf eine friedliche Elbenfamilie aufpassen, die ohne Zweifel sicher im Wandernden Hain aufgehoben war und der ganz offenbar keinerlei Gefahr drohte. Rutaaura neigte einfach manchmal dazu, Bedrohungen zu sehen, wo keine waren.
    Der Zwerg seufzte laut und trank. Dann starrte er wieder trübsinnig den gesunkenen Pegel in seinem Krug an. Hier zu sitzen und Bier zu trinken war auf Dauer keine Beschäftigung, die ihn befriedigte. Wenn er ein freier Zwerg gewesen wäre, hätte er sein Pony gesattelt und wäre nach Norden geritten. Seine Augen dürsteten danach, ihren Blick auf den weißen Gipfeln der Kronberge ruhen zu lassen, seine Ohren vermissten die rauen, aber melodischen Klänge seines heimatlichen Dialektes, seine Lungen verzehrten sich nach der klaren, kalten Luft des Nordgebirges, seine Füße sehnten sich danach, die Halle seines Vaters zu betreten, und sein Herz rief laut die Namen seiner Sippe.
    Erneut ertönte ein langer, vernehmbarer Seufzer von seinen Lippen. Er stellte, plötzlich entschlossen, den Krug ab und griff in die Tasche seiner Joppe. Mit behutsamen Fingern holte er ein herbstgelbes Birkenblatt hervor, ein wenig zerknittert und bräunlich gefleckt. Er legte es auf seine raue Handfläche und hauchte es an.
    Das Blatt erzitterte und glättete sich, dehnte sich aus und teilte sich in zwei hauchzarte Hälften. Zitternde Fühler und sechs tastende Beine kitzelten über Trurres Finger, während goldene Flügel sacht auf- und zuklappten und abwechselnd strahlend goldene und mattsilberne Seiten mit bräunlichen Augenflecken zeigten.
    Trurre neigte sein Gesicht über den Schmetterling und hauchte seine Botschaft. Dann hob er die Hand und schickte das Insekt auf seinen taumelnden und doch windschnellen Flug in den Süden. Der Zwerg sah ihm nach, bis er den tanzenden goldenen Funken nicht mehr erkennen konnte, dann stand er auf und ging in den Schankraum, um sein Bündel zu holen.
    Der Elbenhain war anscheinend ein ordentliches Stück nach Südosten gewandert. Trurre ritt einen Feldweg entlang und ließ seine verborgenen Sinne nach der Grenze suchen, die den Hain von der Welt der Menschen trennte. Endlich stieß er auf den warnenden Druck, der lautlos zu sagen schien: »Halte dich fern von hier. Du willst hier nicht sein. Nichts von dem, was du suchst, wirst du hier finden. Dies ist kein Ort für dich …«
    Er ließ sich davon leiten wie von einem umgekehrten Magneten, und am Ort des stärksten Widerstandes angelangt, hielt er sein

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