Elchmus (German Edition)
bekommen.
Die Waffe drückt weiter sanft in ihre Seite und irgendwas in ihr sagt ihr, dass sie keine Angst haben muss. „Fahr weiter, na mach schon oder willst du hier Wurzeln schlagen?“, hört sie ihren Sitznachbarn an der grünen Ampel sagen.
„Ja, Mann“ , klingt es kleinlaut von vorne.
Ausgerechnet jetzt dudelt Tanya Stephens im Radio. Elke muss an den Feierabend auf der Rolltreppe denken, als sie ihre Tanya das letzte Mal gehört hat. Ihre Galle spuckt. Der Mann neben ihr wippt mit seinem linken Bein im Takt. „Geile Mucke, nicht?“, setzt er auch noch drauf.
So langsam wird sie verrückt. Der Typ hat sie schließlich entführt und sie nicht auf ein Konzert begleitet. Daher antwortet sie auch nicht. An Gott glaubt sie auch nicht. Hat die Kirche schon lange verlassen und somit auch nicht mehr finanziell unterstützt. „Aber wenn es Gott doch gibt, dann ist er nicht beleidigt und hilft dir trotzdem“, spricht soeben ihr persönlicher Schutzengel zu ihr.
Sie sind mittlerweile auf einer Autobahn, die überall auf der Welt sein könnte. Felder links und rechts. Alles ist spärlich besiedelt. Felder und noch mehr Felder. Nirgends Polizei, keiner hält sie an. Der Typ fährt gut. Der Wagen gleitet durch die Landschaft. Im Radio laufen die Nachrichten. Die Wetteraussichten folgen. Die Verkehrslage. Keine Entführung, keine Vermisstenmeldung. Nichts. „Ob CCTV uns wohl aufgezeichnet hat?“, fragt der Typ vorne leise.
Der Typ neben ihr antwortet nicht. Im Radio läuft noch immer Musik.
„Lasst mich doch einfach laufen!“, schlägt sie irgendwann einfach vor. Der Mann vorne macht einfach die Musik lauter. „Ich erzähle auch niemanden was“, fügt sie hinzu. „Halt deine Klappe!“, lautet die Antwort von vorne.
Ralf hat geträumt, war echt eingenickt und würde Elke am liebsten sofort vernaschen. Sagt aber nichts. Und hofft, dass Holger nicht merkt. Er würde so gerne ihren Rücken ohne Hirschgeweih streicheln. Er hätte sie so gerne anders kennengelernt. Sagt aber nichts. Aber als Keri Hilson erklingt, fängt sein linkes Bein wieder an zu wippen.
Elke schläft trotz Angst und Musik ein. Als sie wieder wach wird, riecht sie das Meer. Schmeckt Salz auf den Lippen. Lebt also noch. Das Angstsalz gestern schmeckte anders. Die Möwen kreischen. Sie spürt den Typen neben ihr. Ruhig und gleichmäßig atmet dieser.
Ausgerechnet als sie ans abhauen denkt, brüllt der unsympathische Typ von draußen ins Auto. „Ey, Ralf, aufwachen! Die Messe ist vorbei. Bis zum Morgen können wir jetzt in die Chapel.“
„Hey, Lady. Wie heißt du überhaupt?“
„Elke“, sagt sie ganz normal, so als wär sie auf einer Party. Schöne Scheiße, denkt er zeitgleich. 15 Pfund waren in ihrer Tasche. Dafür holt man nicht mal einen kleinen Hering vom Teller. Und dafür ist er jetzt ein armer Entführer im tiefsten Essex. Rock’n’Roll geht echt anders. Und dabei wollte er den England-Urlaub für einen guten Neustart nutzen. Sich irgendwo anders als am Band verwirklichen und dieses Mal ernsthaft und vor allem für immer, for good.
Und nun hatte er auch noch eine Geisel an der Backe. Und weiß nicht einmal, was Geisel auf Englisch heißt. Ergebnis seiner nicht gerade langen Schullaufbahn.
12
............ Elke hat noch immer Durst. Noch vor zwei Tagen oder wann auch immer, hätte sie Unmengen an Bier in sich reinkippen können. Jetzt war sie entführt worden. Nur weil sie mal wieder spionieren musste. Wie ein neugieriges Weib. Einer der Typen reicht ihr eine Flasche Wein. Korken einfach reingedrückt. Immerhin hat es dieser krümelfrei geschafft. Hat wahrscheinlich in der Kirche gestanden und sich daher benommen.
Ralf hat sich in seine Entführte verliebt. Es gibt nahezu nichts, was absurder sein könnte. Holger hat keine Ahnung. Und kommt genau deswegen mit einem Plan, der so gar nicht in Ralfs Planung passt.
„Lass uns einfach abhauen hier, mit der Fähre und die Alte lassen wir gefesselt zurück. Bei der nächsten Messe wird man sie dann finden.“ Der Gedanke an Kirche passt nicht wirklich hierher, denkt Elke.
„ Was, wenn schon früher jemand vorbei kommt? Ist schließlich schön hier. Dann schnappen sie uns noch, bevor wir auf der Fähre sind“.
Elke wär jetzt wieder gern in Deutschland, auch ruhig bei ihren Eltern. Ruhig zurück im langweiligen Münsterland. Mit Rollrasen und Wäschespinne im eigenen Garten vom Eigenheim. Schöner ist die Wohnsituation da ja nun wirklich.
Als Holger den Fasan
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