Elchmus (German Edition)
verwundert aber auch Holger nicht mehr, denn seine Nerven sind mittlerweile mehr als verputzt. Und der Hunger hat übernommen.
Lediglich Ralf guckt ein wenig verwirrt . Er muss endlich aufhören damit! Schaut dann aber Elke nochmal an, um zu sehen, ob sie ihn wirklich angeschmachtet hat. Hat sie. Er ist sich ganz sicher. Trotzdem oder gerade deswegen nicht leicht die Nerven zu behalten, vor allem, wenn Holger immer rumschleicht.
„Ich find dich auch geil“, bantwortet daher sein Blick. Herr Kessner ist endlich gestorben, denkt Elke als sie glücklich mit Ralf auf der Rückbank sitzt. Sie schaut trotzdem schnell wieder weg. Er denkt sowieso nur, sie flirtet mit ihm, um nicht um die Ecke gebracht zu werden. Sieht ihn dann aber doch nochmal an. Doch, es ist wahrscheinlich, dass sich Ralf auch in sie verknallt hat. Auch wenn er sie entführt hat, fragt ihr müdes weibliches Interpretösen-Gehirn?
„Fahren wir !“, lautet seine Antwort auf die Frage, die sie nicht laut gestellt hat. Laut und unpassend dazu. „Ja, Mann“, klingt es von vorne genervt.
Eine gewisse Zuversicht schwingt durch Elke. England ist doch schön. Das Auto fährt schon. Sie sitzt ungefesselt hinten drin. Eine gute Möglichkeit bei einem Stopp-Schild rauszuspringen. Aber das kann sie gerade nicht. Denn dieses Mal macht sie mit den Männern alles richtig und wenn sie Glück hat, wird dies hier schon ganz bald eine echte Liebesgeschichte. Außergewöhnliches Kennenlernen gibt schon mal hundert Punkte, die nicht mehr so leicht aufgeholt werden können. Der wunderschöne Ralf. Frauen lieben nun mal immer die schmutzigen und dreckigen Kerle.
Auch bei Ralf hat die Liebe zugeschlagen, ohne es zu wollen. Er hat sich die Umstände ja schließlich auch nicht ausgesucht. Aber wenn er Glück hat, wird sie ihn nicht in den Knast bringen, sondern in den siebten Himmel. Und das lebenslänglich.
Holger dahingegen rafft nichts und nervt. Er fährt suchend nach einem Bankautomaten rum, findet aber im Dorf keinen einzigen. Sightseeing zu dritt statt Kuscheln zu zweit steht daher auf dem Programm. Auf dem Weg nach Southminster kommen ihnen zahlreiche Wagen entgegen. Ein Schülerlotse, gelb wie ein Kanarienvogel, hält sie kurz an. Elke nutzt die Chance zu ihrer großen Liebe und springt nicht raus. Sie ist die Frau, sie hat die Kohle und deswegen fahren sie jetzt durch Essex. In den meisten Vorgärten läuft der Buschfunk an den Hecken auf Hochtouren. Die Straße ist komplett frei. Nur ein fetter Dackel schleppt sich herrenlos, aber brav auf dem Bürgersteig durch die Gegend. Das Herrchen ist nur bis zum Doppelhaus-Nachbarn gekommen. Die Satellitenschüsseln hier haben alle ganz große Ohren.
Sie ist endlich frei, aber leider nur in Gedanken. Endlose Reihen von immerfort gleichaussehenden Reihenhäuschen geben der Fahrt nach einer Weile so was wie ein Zuhausegefühl. Vielleicht liegt es auch an der guten Stille im Auto, und an den immer gleichen Vorgärten, den schön drapierten runden Mülltonnen, auf denen „Keep Britain tidy“ steht. Ohne höflich mit Bitte danach zu fragen. Vielleicht aber auch an dem Gefühl endlich nicht mehr an Herrn Kessner denken zu müssen. Den hatte die Vergangenheit endgültig gefressen.
Ralf wird sie nie erschießen. Niemals. Ganz klar. Ihr Leben war noch nicht zu Ende. Mit 22 wäre das ja auch ein bisschen früh gewesen. Selbst die Stars werden trotz Alkohol oder Drogen mindestens 27. Sie könnte glücklich auf Reisen sein. Und während sie den Bankautomaten suchen, fühlt sie immer mehr, dass Ralf sie auch anziehend findet. Wenn das hier vorbei ist, denkt auch Ralf, wird er mit Elke neu anfangen. Holger braucht das ja erst mal nicht zu wissen. Vielleicht klappt es ja. Aber er kann den Gedanken nicht zu Ende spinnen, denn hinter der Kurve taucht endlich eine HSBC Bank auf.
Ralf steigt mit Elke aus, hält sie dabei im Arm. Als seien sie ein Liebespaar. Elke nickt, als sie ihr Geld am Schalter entgegennimmt. Ralf kann nicht mehr anders und drückt zumindest ihre Hand. Anschließend halten sie sich gegenseitig fest und laufen widerwillig zurück zum Auto. Der Stress der Entführung ist schon längst verdaut. Ralf hat es echt auch gepackt. Er will sie. Am liebsten jetzt und sofort. Am allerliebsten Holger sofort in die Wüste schicken. Er muss aufhören damit. Aber er muss was tun. Irgendwas für den zweiten Schritt.
Also nimmt er ihre Hand und legt sie auf seine Waffe im Hosenbund. „Wir tun dir nichts“, sagt er
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