Elchmus (German Edition)
sieht, wird ihm klar, wie hungrig er doch ist. Das letzte Mal hatte er vor mehr als einem Tag gegessen. Vor der Entführung. Ralf hatte noch bei McDonalds die letzten Pfund auf den Kopf gehauen. Deswegen hatten sie gestritten. Pleite waren sie. Deswegen hatte er der Tusse auch die Tasche wegreißen wollen. Sah teuer aus, in ihrem Kostüm.
Das letzte Mal war Elke mit dem Moped am Meer gewesen. Im Urlaub auf Husum. Und hatte sich vorgenommen nach ihrem Urlaub Herrn Kessner ihre Liebe zu gestehen. Sie erinnert sich an all ihre Gedanken von damals. Wie sie ihr Leben verändern wollte. Und was hatte sie jetzt davon?
Sie war gefangen in einer Kirche von zwei BVB-Idioten aus ihrer Studienstadt. Das durften die niemals herausfinden. Wird ihr ganz anders bei dem Gedanken. Wie gut, dass Schapdetten in ihrem Pass steht, der in ihrer Tasche steckte.
Holger sitzt seit ein paar Minuten draußen und hält die Pistole nach wie vor Richtung Fasan. Traut sich aber nicht abzudrücken. Angst nicht zu treffen und Angst Leute aus der naheliegenden Community auf sich aufmerksam zu machen.
Sein Magen knurrt immer lauter. Es waren zwar nur 15 Pfund in der Tasche von der Tusse. Aber das müsste reichen. Holger steht auf, zählt noch einmal und zum hundertsten Mal die Kohle und packt dann die beiden wieder ins Auto. „Los. Essen gehen. Im Pub. Fish und Chips oder ein paar Bangers sind von den paar Kröten für uns alle drin“.
Im Pub gibt es nun bald was zu essen und auch endlich eine Toilette. Die für Männer direkt neben der Theke. Die für Frauen viel weiter hinten hinter den Tischen. „Alte, denk bloß nicht, du kannst weglaufen. Ich komm mit. Versuchst du abzuhauen, mach ich dich platt. Klaro?“.
Elke fühlt sich total beobachtet. Dann ist die Tür zu und damit die Sicht. Stattdessen scheint der Vollmond neugierig durchs winzig kleine Fenster. Sie schaut unauffällig auf ihre Uhr. Es ist noch nicht mal Mittagszeit. Wie lange ging das jetzt alles schon? Dann ist sie wieder vor der Tür. „Danke“, bringt sie immerhin hervor und lächelt Holger an. Er ignoriert sie.
Wieder am Tisch haut sie rein als gäbe es kein Morgen und als hätte es nie eine Entführung gegeben.
Elke kann sich nicht daran erinnern, wann es ihr das letzte Mal so gut geschmeckt hat. Der Shephard’s Pie schmeckt bestens. Das Leben fühlt sich gerade so richtig an wie das unerwartet gute englische Essen. Sie sitzt das erste Mal in ihrem Leben in einem waschechten englischen Pub mit alkoholfreiem Squash im Pint-Glas und fühlt sich gut, trotz der Entführung und mit ohne Job. Ohne den Job wäre sie jetzt nicht hier. Ohne ihn wäre sie nicht in die City zum Shoppen gefahren. Ohne ihn wäre sie weiter ziel- und planlos durch das Münsterland gezogen und ab und zu voll besoffen völlig legal auf dem Schützenfest abgestürzt. Denn einmal jährlich gehört sich das dort so.
Ohne ihn wäre ihr Leben die nächsten 40 Jahre gleich verlaufen. Erwachsen sein verlangt Durchhaltevermögen. Und das muss sie jetzt, durchhalten. Wenn sie durchhält, wird bald alles wieder gut. Die Chapel, die beiden Typen, der Strand, das Meer und ihr Kostüm werden zu einer Geschichte ihres Lebens werden, an die sie sich in ein paar Jahren nicht mehr erinnern wird, wie auch an viele Namen ihrer Ex-Freunde.
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............Aus Mangel an Alternativen verstecken sie sich nach dem Essen wieder in der Chapel. Ralf verschwindet hinterm Deich. Spielt mit der Waffe. Irgendwann, morgen oder so, würde ihnen schon eine Lösung für ihr Problem einfallen. Kann ja so nicht weitergehen. Und dann würde er wieder zu Hause in Dortmund sein und sein beschissenes Arbeitslosenleben führen, ohne die heiße Elke. Mit einer Flasche Bier oder auch zwei von der Bude.
Ein leichter Wind kühlt ihn gerade angenehm. Der Sommer ist noch immer richtig Sommer. Das Meer riecht schön salzig und fast kommt ein wenig Urlaubsstimmung auf, wenn da nicht die Entführung gewesen wäre. Aber Holger, Elke und er passen irgendwie zusammen, obwohl Elke in ihrem Kostüm völlig unpassend für diesen Ausflug gekleidet ist und nicht freiwillig in ihr Leben getreten ist.
Ralf atmet tief durch. Vor zwei Tagen hat er Elke noch gar nicht gekannt und ist mit Holger planlos durch London gezogen. Aber immerhin planlos in einer Weltstadt. Jetzt sitzen sie mit einer Entführten in einer Kirche am Arsch der Welt und haben trotzdem kein Geld. Aber sie sind in den Zwanzigern und völlig faltenfrei. Das
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