Elea: Die Träne des Drachen (Band 1) (German Edition)
aufgewühlt, fast schon panisch aufgrund der Ereignisse des Abends und der entsetzlichen Aufgabe, die sie auf dem Drachenfest zu bewältigen hatte. Wie konnte sie nur das Risiko eingehen, ihre Gabe bei König Roghan und Finlay einzusetzen! Sie konnte jetzt auf einmal überhaupt nicht mehr verstehen, warum sie sich dazu hatte hinreißen lassen. Sie musste verrückt sein, für den Mann, der sie entführen ließ und sie zu seinen Zwecken zu missbrauchen gedachte, Sympathie zu empfinden. Wegen Finlay machte sie sich keine Sorgen. Er stand auf ihrer Seite. Leider mehr als ihr lieb war. Aber Roghan! Wenn er tatsächlich etwas bemerkt haben sollte und mit Darrach darüber reden würde... Der Zauberer würde nicht eher Ruhe geben, bis er alles aus ihr herausgequetscht hätte und er würde sie dabei sicherlich nicht mit Samthandschuhen anfassen. Womöglich würde er Maél noch dazu zwingen, sie gewaltsam zum Reden zu bringen. Dieser Gedanke ließ in ihrer Kehle einen Knoten heranwachsen, von einer Größe, wie sie ihn noch nie verspürt hatte. Sie konnte ihn gar nicht hinunterschlucken, so groß war er. Sie kämpfte gegen einen Würgereiz an, der damit drohte, das Abendessen aus ihren Eingeweiden wieder ans Tageslicht zu befördern.
Und dann noch dieses Drachenfest! Fast ihr ganzes Leben lang hatte sie ihr Haar versteckt und jetzt sollte sie es vor dem Volke Morays in seiner leuchtenden Pracht zur Schau stellen. Wie sollte sie nur all die gaffenden und tuschelnden Gesichter, die nur auf sie blicken würden, überstehen? Sie würden vor ihr Angst haben. Selbst Jadoras Krieger hatten sie die ersten Tage immer mit angsterfüllten Augen angesehen. Vielleicht würden sie sogar Steine nach ihr werfen. Die Tatsache, dass sie ihnen nicht noch ihren missgestalteten Rücken zeigen musste, war ihr überhaupt kein Trost.
Die erste Freude, Maél wieder zu sehen, war auch in den Hintergrund gerückt. Eines stand für sie fest: Sein ihn abgrundtief hassendes Opfer spielen, dazu würde sie nicht in der Lage sein. Sie würde nur mit sich und der Menschenmenge beschäftigt sein, die sich ihren Anblick nicht entgehen lassen würde. Dafür würde Roghan schon sorgen. Jetzt hasste sie ihn auf einmal, während sie ihn vorhin noch vor einem Kampf mit seinem Sohn bewahren wollte. Bevor Maél und die Krieger sie holen kamen, war ihr Leben so einfach. Sie war die Starke und der ruhende Pol in der Familie. Sie hatte ihre Gefühle immer unter Kontrolle. Aber jetzt, seitdem sie von ihrer Bestimmung wusste und seitdem sie Maél begegnet war, ließ sie sich blind von ihren Gefühlen leiten, und, so wie es aussah, auch direkt ins Verderben.
In jener aufregenden Nacht fanden beide nicht in den Schlaf. Elea schlief erst ein, als bereits der Morgen dämmerte. Maél hingegen verließ noch vor dem Morgengrauen mit Arok die Festung und jagte ihn mit scharfem Galopp bis zur Erschöpfung über die hügelige Landschaft um Moray. Er kehrte erst wieder mit maskiertem Gesicht zurück, als Moray unter strahlend blauem Himmel nach der nächlichen Stille längst zum gewohnten Trubel einer Hauptstadt gefunden hatte.
Aber auch Darrach fand diese Nacht keine Ruhe. Nicht, weil er wieder über den alten Schriftrollen brütete, sondern weil in ihm eine Idee herangereift war, die ihn in einen Zustand äußerster Erregung versetzte. Diese ließ ihn auch nicht die ungemütliche Kälte in seinem Zimmer aufgrund der heruntergebrannten Feuer wahrnehmen. Es war für ihn unfassbar, dass er nicht längst darauf gekommen war, obwohl es letztendlich so naheliegend war. All die wochenlangen Grübeleien darüber, wie er dieses letzte entscheidende Hindernis überwinden konnte – wenn der Drache einmal gefunden war -, waren mit dieser Idee mit einem Schlag wie weggefegt, sodass er seinem Ziel, den Schlüssel des Portals zur dunklen Seite der Welt in den Händen zu halten, näher war als erwartet. Es würde zweifelsohne nicht leicht werden, die Auserwählte von den Qualitäten Maéls zu überzeugen. Jetzt, wo sich die Idee in seinem Kopf geformt hatte, musste er ihn vor seinem Auftritt beim Drachenfest noch entsprechend instruieren. Er wusste, dass er auch in den letzten Jahren auf Frauen trotz seiner Gefühlskälte und Gleichgültigkeit eine gewisse Faszination ausübte, was ihm hin und wieder das Glück bescherte, dass sie sich ihm bereitwillig hingaben – zumindest für eine Nacht. Warum dann nicht auch diese widerspenstige, junge Frau?! Man müsste ihr nur die unschönen
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