Elea: Die Träne des Drachen (Band 1) (German Edition)
Unterredungen stehen. Darrachs Arbeitszimmer war von derselben Schlichtheit wie Maéls kleine Kammer. In Regalen, die fast bis an die Decke reichten, standen unzählige Bücher und Schriftrollen. Nur das Fenster und die Ecke des Zimmers, in der ein schmales Bett stand, waren nicht mit Regalen zugemauert. Ihr Fassungsvermögen reichte jedoch nicht aus, um alle Schriftrollen darin aufzubewahren, sodass etwa ein Drittel des Bodens mit ihnen in ordentlichen Reihen bedeckt war. Ein paar Kerzen, die auf dem Boden standen, flackerten unruhig hin und her und warfen gespenstische Schatten an die Wände, da das Fenster weit offen stand. Das Feuer in dem kleinen Kamin war so gut wie erloschen ebenso wie jenes in dem hohen Feuergefäß, das der Zauberer direkt neben seinem Arbeitstisch stehen hatte. Von einer wohligen Wärme, die normalerweise in seinem Zimmer herrschte, konnte nicht die Rede sein.
Der Zauberer kam gleich zur Sache. Maéls Eindruck bestätigte sich. Er war besorgt, weil er immer noch keine Erkenntnis reicher bezüglich Eleas Person war. Er war alle in Frage kommenden Schriftrollen nochmals durchgegangen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass er schon beim ersten Übersetzen nichts übersehen hatte. Daher forderte er Maél nochmals auf, genau darüber nachzudenken, ob Elea sich vielleicht noch bei anderen Gelegenheiten merkwürdig verhalten habe, außer im Zusammenhang mit den Vögeln oder beim Reiten. Maél runzelte nachdenklich die Stirn. Es verstrich einige Zeit, bis er vor Darrach zu dem Schluss kam, dass er nichts Auffälliges an ihr bemerkt habe, außer, dass sie sich ihm gegenüber erstaunlich furchtlos und rebellisch verhalten habe.
„ Nun gut. Bevor wir uns auf die Suche nach dem Drachen machen, werde ich sie in jedem Fall noch unter vier Augen befragen. Mit mir allein wird die Befragung jedoch nicht so sanft verlaufen wie bei König Roghan. Sie verbirgt etwas vor uns, da bin ich mir sicher. Ich kann es regelrecht spüren.“ Bei diesen Worten wurde Maéls schauspielerisches Talent hart auf die Probe gestellt. Während er mit ungebrochenem Gleichmut in Darrachs kalte Augen blickte, kämpfte er in seinem Innern gegen das aufsteigende Bedürfnis an, ihm sein Messer, das im Schaft seines Stiefels steckte, ins Herz zu stoßen. Aber so weit würde es selbstverständlich nie kommen. Dafür hatte Darrach schon gesorgt.
Auf dem Weg zu ihm hatte er sich dazu entschlossen, den Zauberer geradeheraus nach der Bedeutung von Eleas Unberührtheit zu fragen. Eine andere Möglichkeit sah er nicht, wie er an dieses Wissen kommen konnte. Für den Fall, dass Darrach ihn nach dem Grund seines Interesses hierfür fragen würde, musste er allerdings eine Antwort parat haben, die plausibel war, aber keinen Verdacht erregte. Dass er ihn nach dem Grund seines Interesses fragen würde, war Maél sich sicher. Er würde sich auf dünnem Eis bewegen. Dennoch war er davon überzeugt, dass er bisher seine Rolle gut gespielt hatte, da Darrach ihn erst jetzt zu sich gerufen hatte. Noch hegte er scheinbar keinen Verdacht.
Maél lehnte sich lässig zurück und verschränkte seine Arme. „Was hat es nun mit ihrer verfluchten Unberührtheit auf sich? Warum ist sie so wichtig?“ Wie erwartet erfolgte die Gegenfrage umgehend. „Wieso interessiert dich das? Du begehrst sie, nicht wahr? Es wäre auch ein Wunder, wenn es nicht so wäre. Sie ist eine schöne, junge Frau - auf eine... ganz außergewöhnliche Weise.“ Maél konnte es kaum glauben. Darrach hatte selbst die Antwort auf seine Frage geliefert, die er sich gerade eben noch zurecht gelegt hatte. Daher nickte er nur mit einem anzüglichen Lächeln auf den Lippen. „Wer weiß, vielleicht wirst du noch Gelegenheit haben, ihre Schönheit in vollen Zügen zu genießen. Vorerst ist sie jedoch tabu für dich. Hast du verstanden? Sie muss unberührt bleiben, zumindest bis wir den Drachen gefunden haben. Ihre Jungfräulichkeit ist unerlässlich für das Knüpfen des unsichtbaren Bandes zwischen ihr und dem Drachen. Nur so können die beiden als eine Einheit agieren. Elea wird durch dieses Band die Macht über ihn erlangen. Dieses Band ist untrennbar, es sei denn einer von beiden...“ Darrach hielt urplötzlich mitten im Satz inne und starrte mit gerunzelter Stirn auf eine vor ihm ausgebreitete Schriftrolle. Allerdings schien es, als blickte er durch sie hindurch. Langsam sah er wieder auf - direkt in Maéls Augen. Seine ernste Miene war einem zufriedenen Lächeln gewichen. Vielleicht
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