Elea: Die Träne des Drachen (Band 1) (German Edition)
sie sofort Einhalt gebieten musste, bevor diese Empfindung die Oberhand über sie gewann und sie wieder in einen emotionalen Kollaps stürzte. „Und was ist aus Euch geworden? Ihr seid offenbar auch nicht im Heer Eures Vaters geblieben?“,
„ Ich war es noch eine ganze Zeit lang. Ich wurde sogar zu seinem Ersten Heerführer – bis vor zwei Jahren, als er damit begann Vorbereitungen für einen Krieg zu treffen, den ich auf Schärfste verurteilte. Mit der Niederlegung meines Postens verlor ich jeglichen Anspruch auf den Thron, den ich ohnehin nie wollte. Jetzt lebe ich südwestlich von Moray in einem stattlichen Haus, das ich mit meinen eigenen Händen gebaut habe und verdinge mich von Zeit zu Zeit als Jäger oder als persönlicher Begleitschutz von Händlern.“
„ Gibt es keine Frau in Eurem Leben?“, wollte Elea wissen. Finlays Gesicht verdüsterte sich bei dieser Frage. „Es gab eine. Sie hat sich jedoch von mir abgewandt, als ich auf sämtliche Ansprüche des Thronfolgers verzichtete“, antwortete er verbittert. „Und was ist mit Maél? Hat sein Leben Platz für eine Frau?“, wagte Elea zu fragen. Sie hatte Mühe ein Beben ihrer Stimme zu unterdrücken. Finlay warf ihr erneut einen prüfenden Blick zu, der Eleas Herzschlag einen kurzen Moment lang aussetzen ließ. Doch er gab ihr schließlich doch die Antwort, die sie hören wollte. „Sagen wir es einmal so: Es gab viele in seinem Leben, aber keine, die ihm etwas bedeutet hat. Er hat die Fähigkeit verloren, Zuneigung für jemand zu empfinden.“ Er blieb jäh stehen und stützte sich auf der Mauer ab, während er seinen Blick auf etwas in der Ferne richtete. Elea tat es ihm gleich und musste zum zweiten Mal an diesem Tage etwas sowohl Gigantisches als auch Angsteinflößendes erblicken. Vor ihren Augen erstreckte sich eine riesige Ebene in östliche Richtung, deren Ende durch etwas Glänzendes beschrieben wurde. Es war ein gewaltiger See, in dessen Oberfläche sich der graue Herbsthimmel spiegelte. Das erschreckende an dieser Ebene war jedoch, dass sie von Kriegerzelten nur so übersät war, an deren Spitze überall das schwarze morayanische Banner flatterte. Sie sah mit weit aufgerissenen Augen in Finlays Gesicht, der ihrer Reaktion mit einem ernsten Nicken beipflichtete. „Wofür braucht er mich denn noch, wenn er über so viele Krieger verfügt? Das müssen doch Tausende sein.“
„ Um genau zu sein siebentausend. – Das, was man meinem Vater trotz seines Wahnwitzes noch zugute halten muss, ist, dass er bei dem Eroberungskrieg gegen König Eloghan nicht auf einen grausamen und blutigen Krieg aus ist, sondern dass er mit seinem zahlenmäßig überlegenen Heer, Eurem Drachen und Euch an seiner Seite auf eine schnelle Kapitulation König Eloghans hofft.“
Finlay löste sich von der Mauer und ging zur gegenüber liegenden Seite hinüber und warf einen Blick nach unten. Eleas Aufmerksamkeit wurde jedoch plötzlich von zwei Türmen erregt, die das festungsähnliche Schloss deutlich überragten und deren Durchmesser im Vergleich zu den anderen Türmen fast doppelt so groß war. Einer der beiden Türme, jener der den anderen sogar noch um einige Fuß an Höhe übertraf, endete in einem kegelförmigen Dach, während der andere, mit einer Plattform abschloss, die von Zinnen umsäumt war. Auf dieser Plattform konnte Elea eine Vorrichtung ausmachen, die aus dieser Entfernung wie eine überdimensionale Armbrust aussah. Finlay achtete gar nicht auf sie und sprach einfach weiter. „Dass ich ausgerechnet an dem Tag in Moray war, als Ihr ankamt, war Zufall oder Schicksal. Je länger ich aber darüber nachdenke, desto eher glaube ich an letzteres.“ Zu ihr gewandt sprach er weiter. „Elea, Ihr seid von großer Bedeutsamkeit. Darrach hat jedenfalls über Euch etwas in den alten Schriften entdeckt, was ein Gelehrter vor wer weiß wie vielen Jahren niederschrieb. Ihr seid wichtig und der Drache ebenfalls. Also denke ich, dass ich...“ Jetzt erst bemerkte er, dass er überhaupt nicht mehr Eleas ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. „Was ist los? Hört Ihr mir eigentlich noch zu? Wieso starrt Ihr die ganze Zeit zu den Türmen hinauf?“, wollte er etwas verärgert wissen. „Um genau zu sein, starre ich nur auf diesen Turm mit den Zinnen.“ Elea zeigte auf den Turm mit der riesigen Armbrust. Ein – für sie angesichts ihrer neuen Lebenssituation – grausamer Verdacht hatte sie im Laufe der Betrachtung des Turmes beschlichen. „Was steht da auf der Plattform?
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