Elea: Die Träne des Drachen (Band 1) (German Edition)
wie ein Baby schlafen.“ Dann hakte sie sich in den von Finlay galant hingehaltenen Arm ein und ließ sich von ihm weiter auf der Wehrmauer in westliche Richtung führen, wobei sie es tunlichst vermied, auch nur einen einzigen Blick nach Süden zu werfen, wo sie in zwei Tagen das Grauen erwarten sollte.
Die Dunkelheit des herannahenden Abends hatte sich schon früher über das Schloss gelegt, da der immer heftiger gewordene Wind einen dichten Wolkenteppich über Moray herangefegt hatte. Als Elea am späten Nachmittag in ihr Zimmer zurückkehrte, war sie zum Umfallen müde. Nach der Aussichtstour auf der Wehrmauer schlenderten sie mit Finlay noch eine Weile im Schlossgarten umher, obwohl sie eigentlich kaum noch die Augen aufhalten konnte. Sie gingen schweigend nebeneinander her. Elea fiel dabei auf, dass es diesmal kein unangenehmes Schweigen war, ähnlich wie sie es auch mit Maél erlebt hatte. Sie warf immer wieder einen Blick auf Finlays Profil, der irgendwelchen Gedanken nachhing und sie an seiner Seite gar nicht mehr so richtig wahrnahm. Sie mochte ihn und sie konnte sich gut vorstellen, dass er und Maél, so wie er sich die letzten Wochen wieder zum Guten verändert hatte, einst die besten Freunde waren.
In ihrem Zimmer angekommen warf sie sofort den Umhang von ihren Schultern und zog ihre Stiefel aus. Dabei bemerkte sie das Nachtkleid, das Belana demonstrativ auf dem Bett ausgebreitet hatte. Da sie nicht erneut am nächsten Tag den Unwillen der Ersten Hofdame auf sich ziehen wollte, machte sie sich mit trägen Bewegungen daran, die Schnüre an ihrem Rücken zu öffnen. Sie stellte sich vor den Spiegel der Frisierkommode. Endlich hatte sie es geschafft, das Mieder ein paar Fingerbreit zu weiten, sodass sie das Kleid samt Rock mit ein paar, nahezu akrobatischen Bewegungen über ihren Kopf ziehen konnte. Dabei löste sich auch das Kopftuch. Schließlich folgte das weich fließende Hemd. Als sie sich nackt im Spiegel sah, fielen ihr urplötzlich die Höcker ein, die ihren Rücken verunzierten. Sie drehte sich um, um nachzusehen, ob sie noch gewachsen waren. Ein Stein fiel ihr vom Herzen. Sie waren es nicht. Rasch ergriff sie das Nachtkleid vom Bett und zog es über. Kaum hatte sie sich auf das Bett gesetzt, klopfte es an der Tür, die einen Augenblick später auch schon aufschwang und Belana einließ. Sie trug ein Tablett mit dampfenden Speisen darauf, das sie auf die Frisierkommode stellte.
„ Bevor Ihr Euch schlafen legt, werdet Ihr noch etwas essen müssen, Elea. Ich muss darauf bestehen. Eine Mahlzeit am Tag genügt nicht. In ein paar Tagen müsst Ihr Euch schon wieder auf eine neue Reise begeben, die zweifelsohne strapaziöser wird als die erste. Bis dahin möchte ich, dass Ihr bei Kräften bleibt. Also steht bitte auf und esst noch etwas. Ich werde solange Euer Haar für die Nacht herrichten. Euer Nachtgewand habt Ihr ja bereits an, wie ich sehe.“
Elea erhob sich seufzend und protestlos wieder vom Bett und setzte sich vor den Spiegel. Müde und lustlos begann sie zu essen. Sie schaute sich gar nicht mal richtig die Speisen an. Sie aß einfach, um Belana zufrieden zu stellen und um möglichst schnell unter die warme Felldecke schlüpfen zu können. Belana musterte sie nur mit prüfendem Blick und hielt sich mit Fragen bezüglich des Ausfluges mit Finlay zurück. Nachdem sie Elea zum Schlafen einen Zopf geflochten hatte, räumte sie noch mit einem tadelndem Blick die von Elea achtlos auf den Boden geworfenen Kleidungsstücke auf. Dann erlöste sie die junge Frau, die vor Müdigkeit kaum noch gerade auf dem Stuhl sitzen konnte. Sie führte sie zum Bett, deckte sie wieder wie ein kleines Kind zu und konnte nicht umhin, ihr einen Gutenachtkuss auf die Stirn zu geben. Daraufhin verließ sie das Zimmer. Elea konnte gerade noch hören, wie der Schlüssel im Schloss herumgedreht wurde. Einen Wimpernschlag später war sie bereits eingeschlafen.
Kapitel 9
Den letzten Tag vor dem Drachenfest verbrachte Elea ausschließlich auf ihrem Zimmer, was ihr nach dem aufregenden Tag zuvor und dem noch aufregenderen Tag, der folgen würde, nicht ungelegen kam. Belana stürzte wie immer schwungvoll in ihr Zimmer. Elea war schon lange wach und hatte vor lauter Langeweile das gesamte Schuhsortiment probiert. Anfreunden konnte sie sich mit keinem einzigen Paar. Ihr Magen rebellierte auch schon geraume Zeit lautstark, sodass die junge Frau ausnahmsweise mal die Erste Hofdame überschwenglich begrüßte, als
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