Elea: Die Träne des Drachen (Band 1) (German Edition)
gab der Krieger, der den Wagen lenkte, einen Laut von sich. Das Rattern der Holzräder verstummte nur ein paar Augenblicke später. Der Wagen hatte sein Ziel erreicht. Als Elea spürte, wie Maél sich hinter ihr bewegte, öffnete sie vorsichtig die Augen und sah gerade noch aus dem Augenwinkel, wie er vom Wagen sprang. Ihre Haare erleuchteten nur ihre unmittelbare Umgebung. Alles andere blieb ihrem Blick verborgen. In einer überaus langsamen und vorsichtigen Bewegung drehte sie ihren Kopf, als ob sie darauf achten müsste, dass ihr Genick nicht entzwei brach. Eine einzige Fackel erleuchtete ein paar Gesichter, die auf sie hinab starrten. Sie konnte Roghans besorgte Miene und Darrachs missbilligenden Gesichtsausdruck erkennen. Es hielten sich aber noch andere gesichtslose, dunkle Gestalten in einem Halbkreis um Roghan und Darrach auf – Krieger, die für den Schutz der zwei mächtigsten Männer des Königreiches sorgten. Alle schienen nur darauf zu warten, dass Elea vom Wagen stieg. Aber sie war unfähig, ihre Beine zu bewegen. Es grenzte schon an ein Wunder, dass sie ihren Kopf bewegen konnte. Mit einem Mal sprang Finlay auf den Wagen und hob sie einfach hoch. Er blieb jedoch unentschlossen auf dem Wagen stehen, weil er nicht wusste, wie er sie auf den Boden bekommen sollte. An eine Kiste zum leichteren Aus- und Einsteigen hier auf dem Platz hatte offensichtlich keiner gedacht. Mit ihr auf den Armen und aus dieser Höhe einfach hinunter springen, ohne zu stürzen, war jedoch fast unmöglich. Plötzlich stellte sich Maél vor den Wagen, breitete seine Arme aus und gab ihm ein stummes Zeichen, sie ihm zu übergeben. Finlay zögerte kurz, bevor er sie ihm auf die Arme ablegte. Maél trug sie die Holztreppe zum Podest hinauf und fragte sie für alle Anwesenden hörbar: „Könnt Ihr stehen?“ Elea nickte zaghaft, wusste aber gar nicht, ob es ihr auch gelingen würde, nachdem sie die ganze Zeit verkrampft auf dem Wagen gesessen hatte. Maél stellte sie vorsichtig auf die Beine an die Seite rechts von König Roghan. An dessen Linke befand sich Darrach, der mit Luchsaugen jede Bewegung seines Handlangers beobachtete. Roghan lächelte Elea aufmunternd zu, während Maél hinter ihr stehen blieb, obwohl dies so nicht geplant war. Er sollte eigentlich etwas abseits auf dem Podest stehen. An diesen Plan wollte er sich nun nicht mehr halten. Eleas labiler Zustand machte ihm Sorgen.
Elea redete sich immer wieder ein, dass sie das Schlimmste schon hinter sich hätte und dass bald alles vorbei sein würde. Sie hoffte nur, dass Roghan sich kurz fassen würde. Sie blickte geradeaus in die Dunkelheit, die ihr ganz persönliches Grauen in sich barg. Sie konnte die Bewohner der Hauptstadt Moray zwar weder sehen noch hören, da alle Stimmen mit einem Schlag verstummt waren. Was Elea jedoch mit jeder einzelnen Faser ihres Körpers spüren konnte, war die enorme Anspannung der Menschen aufgrund der unmittelbar bevorstehenden Ankündigung des Königs. Roghan hatte gerade das Volk überschwenglich begrüßt und zu dem Drachenfest willkommen geheißen, als er mit der Hand ein Zeichen gab. An mehreren Stellen gleichzeitig auf dem Platz, flackerten plötzlich kleine Flammen auf, die eine leuchtende Spur hinterlassend in den Himmel empor stiegen und die riesigen Feuerbecken entzündeten. Elea verfolgte mit den Augen wie gebannt die dünnen Flammenfäden hoch bis zu den Becken. Das Raunen, das auf die großen, laut aufflammenden Feuer einsetzte, lenkte ihren Blick jedoch jäh auf den Platz zurück – mitten auf die Menschenmenge. Dieser Anblick war zu viel. Sie sah noch für einen kurzen Moment in die sensationslustigen und gaffenden Gesichter, dann wurde alles um sie herum mit einem Mal schwarz. Sie verlor das Bewusstsein. Wäre Maél nicht hinter ihr gestanden, so wäre sie einfach in sich zusammensinkend auf den Boden gestürzt. Er hatte bereits, als er den dunklen Platz betrat, damit gerechnet, dass Elea durch diese Effekthascherei mit den Feuerbecken den Boden unter den Füßen weggezogen bekäme. Daher wusste er schon im Voraus, wann er die Arme ausbreiten musste, um sie aufzufangen. Während alle nach oben zu den Feuern blickten, war Finlays Aufmerksamkeit einzig auf Elea gerichtet. Misstrauisch beobachtete er Maéls vorausschauende Reaktion. Ein paar Augenblicke später bemerkte auch der König bestürzt, was sich an seiner Seite ereignet hatte. Finlay war inzwischen seitlich vom Podest, dort wo eigentlich Maél hätte stehen müssen,
Weitere Kostenlose Bücher